Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
mit dem handgreiflich Objektiven zu thun haben.
Aeußerungen der Urtheilskraft sind auch Witz und Scharfsinn: in jenem ist sie reflektirend, in diesem subsumirend thätig. Bei den meisten Menschen ist die Urtheilskraft bloß nominell vorhanden: es ist eine Art Ironie, daß man sie den normalen Geisteskräften beizählt, statt sie allein den monstris per excessum zuzuschreiben. Die gewöhnlichen Köpfe zeigen selbst in den kleinsten Angelegenheiten Mangel an Zutrauen zu ihrem eigenen Urtheil; eben weil sie aus Erfahrung wissen, daß es keines verdient. Seine Stelle nimmt bei ihnen Vorurtheil und Nachurtheil ein; wodurch sie in einem Zustand fortdauernder Unmündigkeit erhalten werden, aus welcher unter vielen Hunderten kaum Einer losgesprochen wird. Eingeständlich ist sie freilich nicht; da sie sogar vor sich selber zum Schein urtheilen, dabei jedoch stets nach der Meinung Anderer schielen, welche ihr heimlicher Richtpunkt bleibt. Während jeder sich schämen würde, in einem geborgten Rock, Hut oder Mantel umherzugehn, haben sie Alle keine andern, als geborgte Meinungen, die sie begierig aufraffen, wo sie ihrer habhaft werden, und dann, sie für eigen ausgebend, damit herumstolziren. Andere borgen sie wieder von ihnen und machen es damit eben so. Dies erklärt die schnelle und weite Verbreitung der Irrthümer, wie auch den Ruhm des Schlechten: denn die Meinungsverleiher von Profession, also Journalisten u. dgl., geben in der Regel nur falsche Waare aus, wie die Ausleiher der Maskenanzüge nur falsche Juwelen.
Kapitel 8.Zur Theorie des Lächerlichen
Auf dem in den vorhergegangenen Kapiteln erläuterten, von mir so nachdrücklich hervorgehobenen Gegensatz zwischen anschaulichen und abstrakten Vorstellungen beruht auch meine Theorie des Lächerlichen; weshalb das zu ihrer Erläuterung noch Beizubringende seine Stelle hier findet, obgleich es, der Ordnung des Textes nach, erst weiter unten folgen müßte.
Das Problem des überall identischen Ursprungs und damit der eigentlichen Bedeutung des Lachens wurde schon von Cicero erkannt, aber auch sofort als unlösbar aufgegeben. (De orat., II. 58.) Der älteste mir bekannte Versuch einer psychologischen Erklärung des Lachens findet sich in Hutchesons Introduction into moral philosophy Bk. I, ch. I, § 14. – Eine etwas spätere anonyme Schrift, Traité des causes physiques et morales du rire, 1768 , ist als Ventilation des Gegenstandes nicht ohne Verdienst. Die Meinungen der von Home bis zu Kant sich an einer Erklärung jenes der menschlichen Natur eigenthümlichen Phänomens versuchenden Philosophen hat Platner zusammengestellt, in seiner Anthropologie, § 894. – Kants und Jean Pauls Theorien des Lächerlichen sind bekannt. Ihre Unrichtigkeit nachzuweisen halte ich für überflüssig; da Jeder, welcher gegebene Fälle des Lächerlichen auf sie zurückzuführen versucht, bei den allermeisten die Ueberzeugung von ihrer Unzulänglichkeit sofort erhalten wird.
Meiner im ersten Bande ausgeführten Erklärung zufolge ist der Ursprung des Lächerlichen allemal die paradoxe und daher unerwartete Subsumtion eines Gegenstandes unter einen ihm übrigens heterogenen Begriff, und bezeichnet demgemäß das Phänomen des Lachens allemal die plötzliche Wahrnehmung einer Inkongruenz zwischen einem solchen Begriff und dem durch denselben gedachten realen Gegenstand, also zwischen dem Abstrakten und dem Anschaulichen. Je größer und unerwarteter, in der Auffassung des Lachenden, diese Inkongruenz ist, desto heftiger wird sein Lachen ausfallen. Demnach muß bei Allem, was Lachen erregt, allemal nachzuweisen seyn ein Begriff und ein Einzelnes, also ein Ding oder ein Vorgang, welcher zwar unter jenen Begriff sich subsumiren, mithin durch ihn sich denken läßt, jedoch in anderer und vorwaltender Beziehung gar nicht darunter gehört, sondern sich von Allem, was sonst durch jenen Begriff gedacht wird, auffallend unterscheidet. Wenn, wie zumal bei Witzworten oft der Fall ist, statt eines solchen anschaulichen Realen, ein dem hohem oder Gattungsbegriff untergeordneter Artbegriff auftritt; so wird er doch das Lachen erst dadurch erregen, daß die Phantasie ihn realisirt, d.h. ihn durch einen anschaulichen Repräsentanten vertreten läßt, und so der Konflikt zwischen dem Gedachten und dem Angeschauten Statt findet. Ja, man kann, wenn man die Sache recht explicite erkennen will, jedes Lächerliche zurückführen auf einen Schluß in der ersten Figur, mit einer unbestrittenen major und einer
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