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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Dutzend aufzuweisen: sed ignotis perierunt mortibus illi : denn ihre Leiden finden keinen andern Chronisten, als den Schreiber amtlicher Protokolle, oder den Berichterstatter der Zeitungen. Doch werden die Leser der polizeigerichtlichen Aufnahmen in Englischen und Französischen Tagesblättern die Richtigkeit meiner Angabe bezeugen. Noch größer aber ist die Zahl Derer, welche die selbe Leidenschaft ins Irrenhaus bringt. Endlich hat jedes Jahr auch einen und den andern Fall von gemeinschaftlichem Selbstmord eines liebenden, aber durch äußere Umstände verhinderten Paares aufzuweisen; wobei mir inzwischen unerklärlich bleibt, wie Die, welche, gegenseitiger Liebe gewiß, im Genüsse dieser die höchste Säligkeit zu finden erwarten, nicht lieber durch die äußersten Schritte sich allen Verhältnissen entziehn und jedes Ungemach erdulden, als daß sie mit dem Leben ein Glück aufgeben, über welches hinaus ihnen kein größeres denkbar ist. – Was aber die niedern Grade und die bloßen Anflüge jener Leidenschaft anlangt, so hat Jeder sie täglich vor Augen und, so lange er nicht alt ist, meistens auch im Herzen.
    Also kann man, nach dem hier in Erinnerung Gebrachten, weder an der Realität, noch an der Wichtigkeit der Sache zweifeln, und sollte daher, statt sich zu wundern, daß auch ein Philosoph dieses beständige Thema aller Dichter ein Mal zu dem seinigen macht, sich darüber wundern, daß eine Sache, welche im Menschenleben durchweg eine so bedeutende Rolle spielt, von den Philosophen bisher so gut wie gar nicht in Betrachtung genommen ist und als ein unbearbeiteter Stoff vorliegt. Wer sich noch am meisten damit abgegeben hat, ist Plato , besonders im »Gastmahl« und im »Phädrus«: was er jedoch darüber vorbringt, hält sich im Gebiete der Mythen, Fabeln und Scherze, betrifft auch größtentheils nur die Griechische Knabenliebe. Das Wenige, was Rousseau im Discours sur l'inégalité (p. 96, ed. Bip.) über unser Thema sagt, ist falsch und ungenügend. Kants Erörterung des Gegenstandes, im dritten Abschnitt der Abhandlung »Ueber das Gefühl des Schönen und Erhabenen« (S. 435 fg. der Rosenkranzischen Ausgabe), ist sehr oberflächlich und ohne Sachkenntniß, daher zum Theil auch unrichtig. Endlich Platners Behandlung der Sache in seiner Anthropologie, §§ 1347 fg., wird Jeder platt und seicht finden. Hingegen verdient Spinoza's Definition, wegen ihrer überschwänglichen Naivetät, zur Aufheiterung, angeführt zu werden: Amor est titillatio, concomitante idea causae externae (Eth., IV, prop. 44, dem.). Vorgänger habe ich demnach weder zu benutzen, noch zu widerlegen: die Sache hat sich mir objektiv aufgedrungen und ist von selbst in den Zusammenhang meiner Weltbetrachtung getreten. – Den wenigsten Beifall habe ich übrigens von Denen zu hoffen, welche gerade selbst von dieser Leidenschaft beherrscht sind, und demnach in den sublimsten und ätherischesten Bildern ihre überschwänglichen Gefühle auszudrücken suchen: ihnen wird meine Ansicht zu physisch, zu materiell erscheinen; so metaphysisch, ja transscendent, sie auch im Grunde ist. Mögen sie vorläufig erwägen, daß der Gegenstand, welcher sie heute zu Madrigalen und Sonetten begeistert, wenn er 18 Jahre früher geboren wäre, ihnen kaum einen Blick abgewonnen hätte.
    Denn alle Verliebtheit, wie ätherisch sie sich auch geberden mag, wurzelt allein im Geschlechtstriebe, ja, ist durchaus nur ein näher bestimmter, specialisirter, wohl gar im strengsten Sinn individualisirter Geschlechtstrieb. Wenn man nun, dieses fest haltend, die wichtige Rolle betrachtet, welche die Geschlechtsliebe in allen ihren Abstufungen und Nuancen, nicht bloß in Schauspielen und Romanen, sondern auch in der wirklichen Welt spielt, wo sie, nächst der Liebe zum Leben, sich als die stärkste und thätigste aller Triebfedern erweist, die Hälfte der Kräfte und Gedanken des jüngern Theiles der Menschheit fortwährend in Anspruch nimmt, das letzte Ziel fast jedes menschlichen Bestrebens ist, auf die wichtigsten Angelegenheiten nachtheiligen Einfluß erlangt, die ernsthaftesten Beschäftigungen zu jeder Stunde unterbricht, bisweilen selbst die größten Köpfe auf eine Weile in Verwirrung setzt, sich nicht scheut, zwischen die Verhandlungen der Staatsmänner und die Forschungen der Gelehrten, störend, mit ihrem Plunder einzutreten, ihre Liebesbriefchen und Haarlöckchen sogar in ministerielle Portefeuilles und philosophische Manuskripte einzuschieben versteht, nicht

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