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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Agus
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nach Tomatensoße und Frittiertem, als wollten einen die Bootsbesitzer einladen, an Bord zu kommen und Tintenfischringe mit ihnen zu essen.
    Auch das Meer ist für mich genauso wie für Giovannino. Er liebt es allerdings aus anderen Gründen als andere Kinder. Wenn ich ihn zum Poetto-Strand mitnehme, begnügt er sich mit ganz unspektakulären Dingen. Zwar läuft er ebenfalls herum, aber anders, als ich es als Kind tat: Ich erinnere mich, wie ich mir vorstellte, ich müsste vor etwas Schlimmem fliehen, damit ich noch schneller rennen konnte. Doch er läuft so, als hätte er etwas Schönes entdeckt, das er gern erreichen möchte. Er läuft fröhlich über den Sand, und es ist eine wahre Freude, ihn dabeizuhaben. In der restlichen Zeit beobachtet er das Meer, so wie er die Menschen beobachtet. Wenn wir zusammen am Strand spazieren, ist jeder von uns in seineGedanken versunken. Bis er unvermittelt stehen bleibt und mich fragt, ob ich nicht auch finde, dass die Wellen an diesem Tag hauchdünn sind und ein freches Geräusch machen oder dass das Meer wie von Lamé überzogen scheint.
    Immer wieder will ich von ihm wissen, warum ihm Cagliari so gut gefällt.
    »Weil das Meer mittendrin ist«, antwortet er bestimmt. »Weil es von allen Städten die schönste ist.«
    »Ach komm!«, sage ich mit gespielter Empörung und gebe ihm einen kleinen Stups. »Du willst mir doch nicht erzählen, dass es schöner als Paris oder New York ist.«
    »Cagliari ist von allen Städten die schönste. Und wenn Papa in einem Jahr wegzieht, gehe ich nicht mit ihm, sondern bleibe hier.«
    »Ohne deinen Vater? Magst du Cagliari lieber als deinen Vater?«
    »Ich gehe nicht mehr weg. Ich bleibe hier.«
    Dann spazieren wir weiter, und ich nehme mir vor, ihm nie wieder solche Fragen zu stellen. Für Giovannino ist die Welt gut so, wie sie ist.

    Johnson junior meint, wenn man Kinder in die Welt setzt, darf man nicht einmal im Traum daran denken, verrückt zu werden oder sich umzubringen, und meinem Vater hätte man einen ordentlichen Fausthieb versetzen sollen, bevor er sich an der Decke aufhängte, und meiner Mutter eine saftige Ohrfeige, bevor sie sich in den Wahnsinn flüchtete.
    Er meint, ich solle nicht mehr an sie denken, sie seien einfach wehrlos gegenüber dem Leben gewesen. Wir Menschen seien nun einmal nicht, wie die anderen uns gern hätten. Daran könne man verzweifeln, ja, sogar sterben. Oder aber man akzeptiert, dass man anders gestrickt ist als andere, wie in den Kinderreimen.
    In welch herrlichem Einvernehmen Johnson junior mit Johnson junior steht! Schon toll, so gut mit sich auszukommen und nicht mehr und nicht weniger sein zu wollen, als man ist.
    »Kopf hoch, Pasticcio, und Rücken gerade, damit du eine große Romanschriftstellerin wirst!«
    Inzwischen habe ich tatsächlich angefangen, Prosa zu schreiben, und siehe da, überall springen mir die Details ins Auge.
    Mir ist klargeworden, dass dies der Beginn der Zukunft ist, und dass wir, wenn wir den Einzelheiten Beachtung schenken, womöglich verhindern können, dass es eine unglückselige Zukunft wird.
    Papa hatte, bevor er starb, scheinbar sein gewohntes Leben geführt, aber wären wir aufmerksamer gewesen, wäre uns vielleicht eine Veränderung aufgefallen, zum Beispiel in der Art, wie er sich setzte. Anstatt in seinen gewohnten Sessel zu sinken und die Beine auf einem Schemel auszustrecken, setzte er sich auf einen Stuhl, verschränkte die Arme, stellte die Füße nebeneinander und neigte den Kopf leicht zur Brust.
    Ob ich nun Romanschriftstellerin werde oder nicht, ich glaube, dass ich nicht für diese Welt geschaffen bin und es besser gewesen wäre, ich wäre gar nicht erst auf die Welt gekommen. Leopardi hatte recht, wenn er sagte, es sei »traurig jener Tag, der uns geboren«. Aber ich hüte mich davor, das Johnson junior zu sagen. Ich will ihn nicht enttäuschen, wo er sich so viel Mühe gibt, mich vom Gegenteil zu überzeugen.
    »Was für ein Vater! Ach, er ist der geborene Vater, unser Johnson junior!«, sagt Anna. »Giovannino hat ja so ein Glück; sicher, er muss zwar ohne Mutter aufwachsen, aber sein Vater ersetzt ihm allemal das fehlende Elternteil.«
    Meines Erachtens hatte mein Vater gar keine andere Wahl, nachdem Mama zu ihm gesagt hatte: »Es wäre besser, du wärst tot.« Wenn ein von mir geliebter Mensch zu mir sagen würde: »Es wäre besser, du wärst tot«, würde ich auch sterben wollen. Als ich das zu Johnson junior sagte, wurde er fuchsteufelswild und

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