Die Welt auf dem Kopf
natürlich klar, dass ich für alle die Böse bin«, sagte sie. »Die böse Ehefrau, die ihren Mann verlassen und Sohn und Enkel aus dem Haus getrieben hat. Wenn der Mann mit seinen über siebzig Jahren plötzlich meint, noch mal jung zu sein, und sich, kaum ist die Frau aus dem Haus, eine andere nimmt, was soll’s. Wie soll man da nicht vor Kummer verrückt werden oder sich gar umbringen! Und wenn der eigene Sohn, der homosexuell ist, sich mit einem Mal in den Kopf gesetzt hat, Vater zu werden, und weil das in Italien nicht möglich ist, nach Amerika geht und dort sein Sperma einfrieren lässt und sich eine Leihmutter für hunderttausend Euro leistet, was soll’s. Wobei man wissen muss, dass diese hunderttausend Euro ein Teil des Verkaufserlöses unserer Wohnung in Paris waren. Der direkt an den Tuilerien gelegenen Wohnung der bösen Mutter. Was sagst du dazu? Mein Sohn ist der einzige Homosexuelle, der eine schlechteBeziehung zu seiner Mutter und eine hervorragende zu seinem Vater hat. Wo doch in sämtlichen Studien zu diesem Thema immerzu das hervorragende Verhältnis zur Mutter und das schwierige Verhältnis zum Vater herausgestellt wird. Und ausgerechnet ich musste einen Sohn bekommen, der die Ausnahme von der Regel ist. Und es gibt keine Studie über das Altern des Mannes, in der nicht die Rede davon ist, dass die meisten Männer jenseits der fünfundsechzig Potenzprobleme wegen einer Prostataentzündung haben. Mein Mann hingegen ist, nachdem er die fünfundsechzig überschritten hatte, erst richtig aufgewacht. Zuvor ein ganz normaler, ruhiger Mann, hat er sich in einen Sexbesessenen verwandelt. Auch eine Ausnahme von der Regel, und wieder muss sie mich treffen. Es war schon immer so, immer passieren diese Dinge mir. Oder gibt es vielleicht noch eine reiche Sardin, die sich in einen armen Amerikaner verguckt hat?«
Nun bat ich Mrs. Johnson doch herein und warf mich in einen Sessel.
Auch Mrs. Johnson sank in einen Sessel und fuhr dann in ihrem Monolog fort.
»Der arme Giovannino, wer wird ihn je zu sich nach Hause einladen, ihn zum Freund haben wollen? Was für eine Kindheit wird ihm jetzt noch bevorstehen? Die eines Ausgestoßenen. Wie Abschaum wird man ihn behandeln. Die Kindheit eines Jungen, der von zwei Homosexuellen aufgezogen wird wie der kleine Tarzan von Schimpansen.«
Ihre Verzweiflung berührte mich ebenfalls, aber gleichzeitigwusste ich, dass das nicht stimmt, denn erstens sind Homosexuelle keine Schimpansen, und zweitens können auch Kinder von Heterosexuellen Ausgestoßene sein und wie Abschaum behandelt werden. Außerdem gibt es kein Kind, das so oft eingeladen wird und das so beliebt in der Schule ist wie Giovannino. Man setzt die hoffnungslosesten Fälle seiner Klasse, die ungezogensten Bengel neben ihn, Jungs, die nur mit Giovannino klarkommen, und immer wieder sagen die Eltern zur Lehrerin: »Könnten Sie unseren Sohn nicht neben Giovannino setzen?«
Unterdessen fuhr Mrs. John in ihrer Alleinunterhaltung fort, indem sie sich über ihren Sohn und dessen Pariser Freund ausließ.
»Er hat mir Paris gehörig vergällt. Allein schon die Erwähnung dieser Stadt ertrage ich nicht mehr. Unsere schöne Wohnung zu verkaufen, nur um auf Teufel komm raus ein Kind zu bekommen. Das zum Unglücklichsein verdammt ist. Jetzt hat er eine andere Wohnung gekauft, in der Banlieue .
Früher freute ich mich so an dem Lichtschein, den unsere hell erleuchteten Fenster auf den Hof warfen, aber jetzt macht es mich traurig, mir scheint, als würden sich alle einsam fühlen in dem künstlichen Licht, das die Dunkelheit zerteilt. Nicht einmal mehr Paris fasziniert mich, wobei ich zugebe, dass Giovannino es schon wert ist, eine Wohnung an den Tuilerien zu verkaufen.«
Seit ein paar Tagen sind Johnson junior und Giovannino wieder zurück. Der Vater erzählte, da der Kleine ihm einbisschen erschöpft vorgekommen sei, wollte er ihm ein paar Tage Ferien von der Schule gönnen und, vor allem, ihn eine Zeit lang den Klauen der Großmutter entziehen. Aber da das Schuljahr noch nicht zu Ende ist und Giovannino wegen seines ausgeprägten Pflichtbewusstseins ein schlechtes Gewissen hatte, beschloss er, mit ihm zurückzukehren.
Seitdem schaut Johnson junior jeden Tag bei Annina vorbei, und ich sehe von meinem Fenster aus, wie er heftig gestikulierend auf sie einredet; bestimmt will er sie überzeugen, dass alles gut wird. Wenn alle Stricke reißen, auch mithilfe eines Schutzengels. Das wäre ja gelacht. Er hatte schon immer
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