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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Agus
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benutzt. So kommt sie unweigerlich an Annas Wohnungstür vorbei und macht jedes Mal davor halt, aber statt sie hereinzubitten, lassen Mutter und Tochter sie meistens auf dem Treppenabsatz stehen. Wenn ich in diesen Momenten zufällig bei Anna bin und sehe, wie Mrs. Johnson dann weiter die Treppe hochgeht, sehen Anna und ich uns mit einem Ausdruck an, als wollten wir sagen, dass Mrs. Johnson im Grunde gar nicht so hassenswert ist. Einmal sang sie uns sogar ein französisches Chanson vor, ›Milord‹ von Edith Piaf, und auch wenn ich es ein bisschen lächerlich fand, war es irgendwie doch anrührend, und da Anna das Lied ebenfalls auswendig kennt, allerdings auf Italienisch – es war zu der Zeit der beiden Frauen ein großer Hit –, sangen sie gemeinsam: »Vieni con mee Miilord, vieni con mee Miilord! La la la la la larallalala!«
    Inzwischen glaube ich, wenn man will, dass ein Mensch einem unsympathisch bleibt, muss man um jeden Preis verhindern, dass man ihn näher kennenlernt.
    Mrs. Johnson zum Beispiel ist gar nicht böse, sie ist einfach nur eine Signora mit gesundem Menschenverstand. Wobei ich nicht unbedingt eine Verfechterin des gesunden Menschenverstands bin. Als ich die Grundschule und später die Mittelschule besuchte, verboten alle Eltern mit gesundem Menschenverstand ihren Kindern, Hausaufgaben mit mir zu machen, aus Angst, sie könnten sich bei mir anstecken.Erst auf dem Gymnasium änderte sich das, vor allem im letzten Schuljahr, als wir all diese Schriftsteller und Dichter durchnahmen, die geisteskrank geworden waren und sich umgebracht hatten und für die wir uns dennoch begeisterten. Damals fand ich ein paar Freunde, freilich ein bisschen spät, denn inzwischen hatte ich mich mit dem Gedanken abgefunden, als Abschaum zu gelten und eine Ausgestoßene zu sein. Wie dem auch sei, diese Schriftsteller taten mir gut, und aus lauter Dankbarkeit beschloss ich, Literaturwissenschaft zu studieren statt Botanik, ein Fach, in dem ich wegen unseres Gartens wirklich sehr beschlagen bin.
    Und so kommt es, dass alles wieder wie vorher ist. Mrs. Johnson wohnt im oberen Stock und Anna im unteren.
    Wenn Giovannino Hausaufgaben macht, legt Mrs. Johnson den Zeigefinger an die Lippen und macht »Pst!«, denn sie will, dass es absolut still ist. Dabei stört es Giovannino nicht einmal, wenn der Staubsauger eingeschaltet ist, weil er sich mit dem Lernen schon immer leichtgetan hat. Aber Johnson junior erzählte mir, dass Mrs. Johnson ihn manchmal, auch wenn sie kurz zuvor noch »Pst!« gemacht hat, wegen eines nichtigen Grunds anschreit, worauf er die Tür hinter sich zuschlägt und die Treppe hinunterrennt. Am nächsten Tag erzählt uns Mrs. Johnson dann womöglich, dass er aus Versehen etwas kaputt gemacht hat, etwas, was sie nicht ertrage, also könne auch nicht von einem nichtigen Grund die Rede sein.
    Als Johnson junior noch allein mit seinem Vater wohnte und es ihm passierte, dass er einen Teller fallen ließ, sagte er einfach nur zu ihm: »I have broken a dish.«
    Worauf der Vater erwiderte: »Really?«
    Johnson junior ist ein solcher Gewohnheitsmensch, dass man selbst nicht umhinkommt, sich an seine Gewohnheiten zu gewöhnen, zum Beispiel dass er es nie versäumt, einem Gute Nacht zu sagen. Also erwartet man es auch und verlässt sich darauf, dass sein Gute-Nacht-Gruß pünktlich bei Einbruch der Nacht erfolgt.
    Wenn man dann eines schönen Tages, oder besser gesagt eines schlechten Tages, vergeblich auf seinen Gruß wartet, zerbricht man sich den Kopf, aber man darf Johnson junior keinesfalls darauf ansprechen, weil er es nicht ertragen würde, für einen Gewohnheitsmenschen gehalten zu werden.
    Als wir einmal verabredet waren und ich ihn auf dem Handy anrufen wollte, nahm er nicht ab. Mit einem unguten Gefühl im Bauch ging ich nach Hause und klingelte bei den Johnsons, aber niemand wusste, wo er war. Ich fragte Giovannino, ob er mit mir nach ihm suchen wolle, und gemeinsam durchstreiften wir das ganze Viertel, während ich es immer wieder verzweifelt auf dem Handy von Johnson junior probierte, jedoch vergeblich. Giovannino meinte, dass sein Vater wahrscheinlich am Hafen sei.
    Es war ein Frühlingsnachmittag, aber das Wetter war alles andere als frühlingshaft, es nieselte und die Luft warfeucht und klebrig. Vor einer zum Auslaufen bereiten Fähre hatte sich eine Autoschlange gebildet, und plötzlich sah ich Johnson junior neben einem Wagen stehen.
    »Da ist Omar!«, rief Giovannino aufgeregt. »Dort, in dem

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