Die Welt auf dem Kopf
Auto!«
Mit entschiedener Geste ließ er meine Hand los, als wollte er zu ihnen laufen. Doch im nächsten Moment ergriff er sie wieder, mit ebenso entschiedener Geste, als hätte er es sich anders überlegt. Dabei sah er mich besorgt an, ja fast ein wenig zärtlich oder gar mitleidig, wie mir schien.
Sein Vater und der junge Mann in dem Wagen betrachteten einander schweigend, und auf dem Gesicht von Johnson junior lag ein Ausdruck stummer Verzweiflung. Plötzlich stieg der junge Mann aus dem Wagen, stürzte zu ihm und umarmte ihn, und die beiden küssten sich auf den Mund, und ich begriff, dass ich mich die ganze Zeit geirrt hatte: Omar war nicht der Hässliche, sondern der wunderschöne Engel, den ich für Nataschas Verlobten gehalten hatte.
Und so löste sich alles in Luft auf, wie wenn man aus einem schönen Traum erwacht. Ich stand da wie angewurzelt, wie wenn man zusehen muss, wie ein Schiff untergeht, nachdem man vorher alles Menschenmögliche versucht hat, es zu retten.
Unterdessen hatte es richtig zu regnen angefangen, aber ich war unfähig, den Schirm aufzuspannen. Giovannino spannte ihn auf, mit der freien Hand, denn mit der anderen hielt er meine Hand ganz fest.
Schließlich löste sich sein Vater von Omar und kam auf uns zu. Als er mich so dastehen sah, wurde er fuchsteufelswild und packte mich am Arm.
»Wage es ja nicht, meinen Sohn mit deiner Angst, verlassen zu werden, zu zerstören. Es gibt keinen Grund, mir nachzuspionieren. Ich werde mich nicht aus dem Staub machen. Ich bin nicht wie deine Eltern. Ich bin ein zufriedener Mensch und richte keine Tragödien an, ich werde mich bestimmt nicht umbringen.«
»Lass sie in Ruhe! Sie zerstört niemanden!«
Giovannino schlug ihm auf den Arm.
Daraufhin fuhr sein Vater in sanfterem Ton fort:
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Mir stößt nichts zu. Ich bin ein fröhlicher, heiterer Mensch, weil ich mein Leben, so gut ich es vermag, lebe.«
Noch lange streifte ich allein im Regen umher, um bis auf die Haut nass zu werden und mir eine Lungenentzündung zu holen. Dann wieder überlegte ich, ob ich zum Hafen zurücklaufen sollte, um mich ins Wasser zu stürzen und mit den Kleidern irgendwo hängen zu bleiben und unterzugehen wie mein Traum.
Erst spät in der Nacht kehrte ich nach Hause zurück und fand eine Nachricht von Johnson junior vor, die er unter der Tür hindurchgeschoben hatte: »Siehst du, Pasticcio, sogar dieser graue, feuchte, triste Nachmittag ist zu Ende gegangen, und siehst du, wie am Himmel die Sterne aus dem Dunst hervorgetreten sind? Was du heute Nachmittag erlebthast, war die tragische Seite des Lebens. Aber jetzt bist du schon wieder auf der anderen.«
In den folgenden Tagen hörte man von oben ein ständiges Türenschlagen. Mrs. Johnson und ihr Sohn lieferten sich offenbar einen Wettstreit darin, wer sie noch lauter zuschlagen konnte. Unterdessen bemühten sich Johnson senior und Giovannino, die beiden zu beruhigen.
Wenn Johnson junior schon auf der Treppe nach unten war, riss seine Mutter die Tür auf, die er gerade zugeschlagen hatte, und aus der Antwort von Johnson junior konnte man schließen, dass sie ihm mit zusammengebissenen Zähnen eine Beleidigung hinterhergeschickt hatte, denn er sagte: »Was hast du gesagt, was ich bin?«
»Du hast schon richtig gehört!«
Vor einigen Tagen fuhr er mit Giovannino weg.
Am selben Tag wurde Anna klar, dass sie nicht mehr arbeiten konnte.
Zum ersten Mal erlebte ich, dass es ihr wirklich schlecht ging. Um sich herum die Einkaufstüten auf dem Boden verstreut, ließ sie sich in einen Sessel fallen und schaffte es nicht mehr aufzustehen. Immer wieder versuchte sie es, um erneut in den Sessel zurückzusinken.
»Du musst unbedingt Natascha davon überzeugen, dass ich auf keinen Fall operiert werden will. Du darfst es nicht zulassen, dass man mich ins Krankenhaus bringt, versprichst du es? Ich will nicht um jeden Preis länger leben. Diejenigen,die einen um jeden Preis am Leben halten wollen, sind gefährlicher als alle Krankheiten.«
Wenn ich jetzt höre, wie sich Mrs. Johnson in ihren Chanel-Schuhen meiner Wohnungstür nähert und klingelt, öffne ich nicht. Im Grunde meines Herzens gebe ich ihr die Schuld für Annas Zusammenbruch und nehme es ihr übel, dass sie Johnson junior mit Giovannino in die Flucht getrieben hat.
Aber eines Tages hörte sie nicht mehr auf zu klingeln. Schließlich machte ich auf, blieb jedoch auf der Schwelle stehen, statt sie hereinzubitten.
»Mir ist
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