Die Welt aus den Fugen
Unerwartetes: Die Arabische Liga, die in solchen Fällen meist für ihre »Brüder« eintritt und die USA oft des Imperialismus beschuldigt, nahm nachdrücklich und eindeutig Stellung gegen Qadhafi. Es war Deutschland, das sich als einziger Staat der EU mit Russen und Chinesen gemeinmachte und das Vorgehen der Westmächte gegen Qadhafi zwar nicht rundum ablehnte, aber durch seine Stimmenthaltung zu verstehen gab, es wolle sich in das libysche Abenteuer in keiner Weise verwickeln lassen.
Man kann nur Vermutungen anstellen über die Gründe, die Angela Merkel und ihren AuÃenminister Westerwelle bewegt haben, der atlantischen Solidarität den Rücken zu kehren. Und, was schwerer wiegt, als einziger Staat der EU den Einheitsbestrebungen unseres Kontinents einen Dolchstoà zu versetzen. Glaubte die Regierung von Berlin, der viele schwierige Landtagswahlen bevorstehen, sie könne ähnlich taktieren wie seinerzeit der sozialdemokratische Kanzler Schröder, der sich 2003 weigerte, am Feldzug Iraqi Freedom teilzunehmen? Mit diesem populären Entschluà hatte er die Bundestagswahl knapp für sich entschieden. Doch George W. Bush hatte damals mit so viel Täuschungen operiert, daà die Ablehnung Frankreichs und Deutschlands der jeweiligen Staatsräson entsprach.
Die Situation in Libyen ist verworren. Es hatte viel Naivität auf seiten der westlichen Allianz dazugehört, an das Versprechen des Obersts Qadhafi zu glauben, er wolle einen Waffenstillstand einhalten. Statt dessen drangen seine Truppen in Bengasi ein. Die Rebellen hatten vielleicht zu früh gefeiert, als die Resolution des Weltsicherheitsrates bekannt wurde, die den Weg frei machte für die Sperrung des libyschen Luftraums und auch für andere Interventionen der diversen alliierten Flugzeuge.
Wäre die Aktion der USA, Englands und Frankreichs einige Tage früher erfolgt, hätte man die Panzerkolonnen des liÂbyschen Diktators und seine Truppenaufgebote leicht aus der Luft lahmlegen können. Die platte, nackte Wüste entbehrt jeder Tarnung und würde der konventionellen Kriegsführung zum Verhängnis.
Sollte sich Qadhafis Clan behaupten, wäre es schlecht bestellt um jene gefeierte Umsturzbewegung, die man als »Arabischen Frühling« oder »Jasmin-Revolution« verherrlichte. Warum sollte dann die ägyptische Generalität ihren Regierungseinfluà und ihre immensen Privilegien preisgeben? Selbst in Tunesien ist ja noch nichts geregelt, und das Resultat der dort angekündigten Wahlen bleibt überaus ungewiÃ.
Den gröÃten Vorteil aus der Brutalität Qadhafis kann im Persischen Golf die Dynastie Al Khalifa auf der Insel Bahrain für sich verbuchen. Als die Palastwache des dortigen sunnitischen Königs durch die schiitische Bevölkerungsmehrheit, die er stets drangsaliert hatte, hinweggefegt zu werden drohte, kamen ihm die Panzer Saudi-Arabiens zur Hilfe. Auf der Südhälfte Bahrains befindet sich â streng abgeschirmt â die Basis der Fünften amerikanischen Flotte. Und diese einmalige strategische Position, die ein Ãbergreifen der Islamischen Republik Iran auf die von Schiiten bewohnten reichsten Erdölreviere der Saudis verhindert, bleibt für Washington von unschätzbarem Wert. Also hat sich am Potomac kaum eine Stimme erhoben, um gegen diese Verletzung der Menschenrechte durch die saudische Monarchie zu protestieren.
Dieses Mal hat die Bundesrepublik sich in eine leichtfertige Isolation begeben. Die Argumente gegen eine ohnehin minimale militärische Beteiligung in Libyen klingen wie klägliche Ausflüchte. Der deutsche Bruch mit NATO und EU könnte von vielen als ein Symptom von »Feigheit vor dem Feind« gedeutet werden. Begreift man in Berlin denn nicht, daà ein deutsches Engagement im Mittelmeer sehr viel zwingender sein kann als die sinnlose Verstrickung in das heillose Chaos am Hindukusch?
Der Untergang Qadhafis
Interview, 22. 03. 2011 1
Die alliierten Streitkräfte bombardieren seit dem Wochenende Ziele in Libyen. Schlittert der Westen nach dem Irakkrieg und Afghanistan in den nächsten groÃen Konflikt mit der islamischen Welt?
Wir wissen noch nicht, ob das ein groÃer Konflikt wird. Es besteht ja durchaus noch die Möglichkeit, daà Qadhafi gestürzt wird. Das muà allerdings sehr schnell geschehen. Wenn Qadhafi nicht innerhalb der nächsten Wochen gestürzt wird, droht
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