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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Syrien hat den Europäern vor Augen geführt, daß die große islamische Gemeinschaft in ihre unmittelbare Nachbarschaft reicht und nichts am fernen Hindukusch entschieden wird. Das südliche Ufer des Mare nostrum war von der deutschen Regierung ignoriert und von den USA mit Hilfe gefügiger Despoten in die trügerische Liga des Kampfes gegen den Terrorismus eingereiht worden.
    Nun blickt der Westen mit Ernüchterung auf Nordafrika. Über die italienische Insel Lampedusa ergießt sich ein Flüchtlingsstrom in Richtung Italien und Frankreich, der unter der harten Fuchtel des Diktators Ben Ali auf ein Minimum reduziert worden war. Tunesien ist – so hoffen wir – die endlose Tyrannei losgeworden. Doch mit dem Zusammenbruch des Touristengeschäfts, der Haupteinnahmequelle des Landes, wächst die Zahl derjenigen, die nicht mehr als Asylanten wegen politischer Willkür, sondern als gewöhnliche Wirtschaftsmigranten an den Verlockungen des europäischen Wohlstandes teilhaben wollen. Es zeigt sich, daß den mutigen Rebellen weder strukturierte Parteien noch überzeugende Führungspersönlichkeiten zur Verfügung stehen. In Erwartung einer neuen Verfassung sowie der angekündigten Präsidial- und Parlamentswahlen, auf die die jungen Helden des Tahrir-Platzes in keiner Weise vorbereitet sind, steht das Nil­tal weiterhin unter der Autorität des Generalstabschefs Tantawi; diese Funktion hatte er bereits unter Mubarak ausgeübt.
    Als einzige Formation, die unter den achtzig Millionen Ägyptern Wurzeln geschlagen hat und für ihre Wahlkampagne über die Kanzeln zahlloser Moscheen verfügt, drängen sich nun die Muslim-Brüder in den Vordergrund. Sie haben längst darauf verzichtet, gewalttätigen Extremismus im Namen Allahs auszuüben. Und finden starke Unterstützung beim Mittelstand und bei den zahllosen Fellachen, der frommen Bauernschaft.
    Die Arabische Liga hat dem Vorhaben der NATO, Libyens paranoiden Qadhafi zu stürzen, ihre Zustimmung erteilt. Doch in seinem Verzweiflungskampf hat dieser beachtlichen Kampfgeist und strategisches Geschick bewiesen. Wer auf ihn folgen wird, ist ungewiß. Schon wird befürchtet, daß sich zwischen den unterschiedlichen Landesteilen ein Bürgerkrieg entfachen könnte. Manche reden gar von der Möglichkeit somalischer Anarchie in der Nachbarschaft Siziliens.
    Ob sich in Damaskus der syrische Präsident Assad, auf den manche große Hoffnungen gesetzt hatten, gegen die Auflehnung der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit behaupten kann, bleibt ungewiß. Nach dem blutigen Präzedenzfall in Libyen ist keineswegs sicher, daß das brutale Vorgehen der mächtigen syrischen Sicherheitsorgane am Ende nicht doch den Ausschlag geben wird. Der Westen hütet sich, gegen das Regime von Damaskus ähnlich forsch vorzugehen wie gegen Libyen. Präsident Obama sieht sich am Hindukusch, im Irak, neuerdings in Pakistan und im ewigen Streit um Palästina sonst schon riesigen Problemen ausgesetzt.
    Eine entschlossene Abkehr der westlichen Allianz von ihrer heuchlerischen Bevorzugung bequemer Vasallen ist nicht zu erwarten, solange Saudi-Arabien den unentbehrlichen Erdöllieferanten und ein Bollwerk gegen die wachsende Macht der Islamischen Republik Iran darstellt. Die Niederknüppelung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit durch saudische Panzertruppen in Bahrain wird auch unter Präsident Obama akzeptiert. Es geht um die vitalen wirtschaftlichen und strategischen Interessen der USA in dieser gefährlichen Krisenregion am Persischen Golf.
    Deutschland isoliert sich
    11. 06. 2011
    Der deutschen Bundeskanzlerin wurde Anfang der Woche die höchste zivile Auszeichnung der USA, die Friedensmedaille des Präsidenten, verliehen. Gleichzeitig aber vermerkt ein deutsches Magazin, daß die deutsch-amerikanischen Beziehungen einen Tiefpunkt erreicht haben. Die Kumpelhaftigkeit oder grundsätzliche Solidarität, die George W. Bush und Angela Merkel auf seltsame Weise verband, ist unter Obama einer gegenseitigen Abneigung gewichen.
    Als Bush junior im Weißen Haus amtierte, hatte die damalige Generalsekretärin der CDU den Entschluß des deutschen Kanzlers Schröder kritisiert, nicht am Feldzug Iraqi Freedom teilzunehmen, und hätte – wenn es nach ihr gegangen wäre – ein deutsches Kontingent geschickt. Bush sah in Merkel, die die Tyrannei des Kommunismus

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