Die Welt aus den Fugen
den Kontakt zur Bevölkerung herzustellen, und eine nachhaltige Befriedung der Region erzielt. Auf die Dauer kann man natürlich nicht die deutschen Elemente dort verstreut lassen. Sobald wie möglich sollen sie von afghanischer Polizei und Militär ersetzt werden. In Vietnam hat sich »clear and hold« nicht bewährt. Und die Frage bleibt bestehen, ob sie in Afghanistan am Hindukusch von Erfolg gekrönt sein wird.
Warum ist die deutsche Schutztruppe im Norden so plötzlich zum gefährdeten Vorfeld des Krieges geworden? Starke amerikanische Kampfverbände sind dorthin verlegt worden, denn der Nachschub für die US-Armee ist auf seinen bisherigen Transitrouten in Pakistan durch Ãberfälle bedroht und muà heute das Gebiet der ehemals sowjetischen Republiken Zentralasiens und sogar den Luftraum und die Schienenstränge RuÃlands benutzen. Daà sich daraus eine Abhängigkeit vom Wohlwollen Moskaus ergibt, liegt auf der Hand. Man hätte manches lernen können von dem achtjährigen Feldzug, den die Sowjetunion am Hindukusch führte. Ein Blick auf die zerstörten Panzerwracks im Pandschirtal wäre überaus aufschluÃreich gewesen. General Petraeus dürfte von dem Bild des sowjetischen Oberbefehlshabers General Gromow belastet sein, der immerhin würdiger als die Amerikaner in Vietnam als letzter Soldat seiner Armee die Brücke über den Amu Darja in Richtung auf die Heimat verlieÃ.
Man hat die Situation am Hindukusch oft mit jenem Great Game, dem groÃen Spiel verglichen, das sich das britische Weltreich und das zaristische RuÃland vor ungefähr einhundert Jahren in Zentralasien um Einfluà und Besitz lieferten. Aber die Akteure sind heute ganz andere. An die Stelle der Europäer sind die Amerikaner getreten, und bei all ihrer Macht und Technologie wissen die klugen Generale des Pentagon, daà es hier nicht mehr um einen Sieg geht, sondern um einen halbwegs ehrenvollen Rückzug in einigen Jahren. Die wichtigen Mächte, die bodenständigen Mächte, sind nun einmal jene islamischen Massen, 1,3 Milliarden, die sich untereinander streiten und bekämpfen, die aber durch ihre Demographie, durch ihre erdrückende Bevölkerungszahl Europa mehr beängstigen dürften als durch ihre gelegentlichen Terroranschläge. Es bleibt vor allem in unmittelbarer Nachbarschaft von Afghanistan das Reich der Mitte, die Volksrepublik China, die die ganze Gegend mit ihren Verkehrswegen durchzieht und darauf bedacht ist, die Rohstoffe dieser immensen Region für sich zu pachten.
In der unheimlichen Abendstimmung liegt die Festung Kundus streng abgetrennt vom rührigen Treiben der Stadt in öder Erwartung. Zu ihren FüÃen schlängelt sich der Kundus- FluÃ, und dahinter dehnt sich die Tatarensteppe. Der Auftrag Europas zu imperialer GröÃe ist endgültig in Afghanistan erloschen. Was belastet die Stimmung bei den deutschen Soldaten? Es mag einerseits die erzwungene Untätigkeit sein, die Lähmung, die ihnen auferlegt ist.
Aber wofür droht ihnen der Tod am Rande der Piste? Für Gott und Vaterland wird längst nicht mehr gefochten. Und die ritterlichen Ehrenbegriffe, denen man sich einst verpflichtet fühlte, haben keinen Platz in diesem heimtückischen Partisanenkrieg. Wer gegen die glaubenstrunkenen Krieger Allahs antritt, bringt kaum noch Verständnis auf für einen militärischen Choral, der die Macht der Liebe verherrlichte.
1 ZDF-Dokumentation 2010
DER WEG INS UNGEWISSE
2011-2012
Die ersten Wirren in Tunesien
24. 01. 2011
Niemand hätte den Tunesiern zugetraut, daà sie als erstes Volk der arabischen-islamischen Welt die brutale Diktatur abschütteln würden, der sie seit Jahrzehnten ausgeliefert waren. Daà sie es fertigbrachten, ihren korrupten Präsidenten Ben Ali in die Wüste zu schicken.
Ob ihr Mut zum offenen Widerstand zur Umgestaltung ihres kleinen Staates in unmittelbarer Nachbarschaft Siziliens führen kann, ist ungewiÃ. Niemand weiÃ, ob aus diesem Tumult am Ende nicht doch eine neue Zwangsherrschaft, eventuell gar die Machtergreifung des Militärs stehen wird. Ben Ali hat sämtliche Opponenten systematisch in seinen Kerkern verschwinden lassen oder ins Exil gezwungen. In Tunesien ist kein volkstümlicher, charismatischer Politiker in Sicht, der die Kräfte der Erneuerung bündeln könnte.
Der gestürzte Diktator hat zunächst beabsichtigt, Asyl
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