Die Welt aus den Fugen
hatte das denn für Folgen?
Deutschland war der einzige Staat der Europäischen Union, der nicht zugestimmt hat. So wurde die europäische Solidarität, die ja ohnehin gering ist, in militärischer Hinsicht zunichte gemacht. Noch dazu hat man die Amerikaner brüskiert â und zwar völlig unnötigerweise.
Aber hätte sich Deutschland bei einem Ja nicht militärisch beteiligen müssen?
Deutschland war nicht verpflichtet, irgendwelche Soldaten oder Flugzeuge einzusetzen. Noch ist Deutschland ja ein halbwegs souveräner Staat. Wie sehr man sich engagiert, darüber hätte der Bundestag abgestimmt. Das Groteskeste war, daà die Deutschen als Ausgleich für Libyen ein paar AWACS-Ãberwachungsflugzeuge für Afghanistan ausrüsten wollen â als ob der Krieg in Afghanistan eher zu vertreten wäre als die Intervention in Libyen. Dabei wird eines vergessen: Unsere Nachbarschaft ist das Mittelmeer â und nicht der Hindukusch.
Jetzt ist der Westen auch noch uneins: Es gibt einen Streit darum, wer den Einsatz führen soll. Wirkt sich das auch auf Deutschlands Position aus?
Für Deutschland ist das alles ein schwerer Bruch in den AuÃenbeziehungen. Das wäre unter Helmut Kohl nicht passiert â und unter Helmut Schmidt auch nicht. Sarkozy hat mit seinem Engagement ja auch für die kommenden Wahlen in Frankreich seine Position stärken wollen â und kommt ganz gut an im Land. Es ist für Frankreich aber auch eine Notwendigkeit, einigermaÃen zu wissen, was jenseits des Mittelmeers passiert. Die Engländer liegen ja auf der gleichen Linie wie Frankreich. Es ist schon erstaunlich, daà sich da wieder eine Art Entente cordiale wie 1904 bildet, ein neues Bündnis zwischen England und Frankreich. Das geht natürlich auf Kosten des deutsch-französischen Verhältnisses. Und man darf nicht vergessen: Merkel hat mit der Enthaltung auch die Amerikaner vor den Kopf gestoÃen.
Die sind allerdings fast schon wieder auf dem Weg raus aus Libyen, oder?
Die Amerikaner sind nur temporär da und nur für sehr begrenzte Aufgaben. Sie haben noch die Irakfrage am Hals, sie wissen nicht, wie sie aus Afghanistan herauskommen. Noch dazu fürchten sie, daà Pakistan explodiert, das ist im Moment die gröÃte Gefahr. Da wollen sie sich nicht noch unnötig am Mittelmeer binden. Aber sie haben mit ihren Cruise-Missiles die Voraussetzung geschaffen für die Flugverbotszone.
Hand aufs Herz: Haben Sie vor ein paar Monaten damit gerechnet, daà es in der arabischen Welt so viel Aufruhr geben könnte?
In Tunesien kam es für mich völlig überraschend. Die Tunesier gelten als ein mildes, beinahe schwächliches Volk. Die Araber sagen unter sich: Die Tunesier sind die Frauen, die Algerier sind die Männer und die Marokkaner sind die Krieger. Daà ausgerechnet die Tunesier die Sache in Gang brachten, war schon erstaunlich. Bei Ãgypten war ich weniger überrascht.
Kann die revolutionäre Dynamik die ganze arabische Welt erfassen?
Eine einheitliche Bewegung wird es nicht geben. Die arabischen Staaten sympathisieren untereinander nicht sonderlich, sind teilweise sogar verfeindet. Es hat eine Aufwallung der jungen Generation gegeben, eine Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen Verhältnissen. Auch das Internet hat eine Rolle gespielt â auch wenn man das nicht überschätzen sollte.
Pulverfaà Nahost
16. 05. 2011
Der »Arabische Frühling«, der in der westlichen Welt so viel Hoffnung weckte, droht in einen arabischen Herbst umzuschlagen. Ein paar Wochen sah es so aus, als wäre in den verkrusteten Zwangsregimen jenseits des Mittelmeers ein gründlicher Wandel eingetreten. Zwei Faktoren schienen den Weg in eine Zukunft der Freiheit zu weisen.
Die Masse der Jugendlichen war es leid, sich von korrupten Despoten bevormunden zu lassen. Allzu viele junge Männer und Frauen sahen sich um ihre Zukunftschancen betrogen. Als zusätzliches Instrument des revolutionären Aufbäumens schufen die elektronischen Kommunikationsmittel eine quasi anonyme Solidarität, auf die die Repressionsapparate nicht vorbereitet waren.
Endlich schienen sich die südlichen Anrainer des Mittelmeers auf die Forderung nach individueller Freiheit und auf Säkularismus auszurichten, statt die gewohnten Wutschreie gegen Kreuzzügler und Zionisten auszustoÃen.
Der Aufruhr in Tunis, Ãgypten, Libyen und
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