Die Welt aus den Fugen
in Frankreich zu beantragen, wo Präsident Sarkozy sich bislang opportunistisch um seine Freundschaft bemüht hatte. Aber Paris hat ihm die Grenzen nicht geöffnet. Hingegen fand Ben Ali im Königreich Saudi-Arabien bereitwillige Aufnahme. Und sein östlicher Nachbar, der libysche Tyrann Muammar el-Qadhafi, solidarisierte sich öffentlich mit seinem tunesischen Gesinnungsgenossen.
Ein gehöriger Schock muà all denen in die Glieder gefahren sein, die ähnlich wie Ben Ali ihre Zwangsregime mit Hilfe der allgegenwärtigen Geheim- und Polizeidienste sowie privilegierten, manipulierbaren Armee-Einheiten zu verewigen suchten. Das bedeutet allerdings nicht, daà im marokkanischen Rabat, in Algier oder in Amman das tunesische Aufbegehren des Volkes automatisch Schule machen wird. Die Apparate verfügen über eine lange Praxis der Vergewaltigung der eigenen Untertanen und werden â solange sie sich als wackere Kämpfer gegen den militanten Islamismus präsentieren â von den USA nachhaltig unterstützt.
Immerhin hat sich in Tunis ein Wandel eingestellt, der unlängst noch für unmöglich gehalten wurde. Man war davon ausgegangen, daà die hochtechnische Ãberwachung eines jeden verdächtigen Individuums es den arabischen Satrapen Amerikas erlaubt, mit Hilfe grob gefälschter Wahlen und der Unterdrückung der Meinungsfreiheit unbegrenzte Macht ausüben zu können. Um diese dann â wie es üblich geworden ist â an ihre Söhne weiterzureichen. Die gleichsam dynastische Erbfolge scheint in Tripolis, Damaskus und Kairo zur Norm arabischer Staatsführung zu werden. Der französische Präsident Sarkozy brachte vor ein paar Jahren das bizarre Projekt einer Mittelmeer-Union aufs Tapet. Dies war eine Konstruktion, die schon aufgrund der abgrundtiefen Feindschaft in Palästina, aber auch einer fast kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Marokko und Algerien um den Besitz der ehemals spanischen Westsahara keine Chance auf Verwirklichung besaÃ. Sarkozy wurde für seine Idee denn auch vor allem von deutschen Politikern und Medien beinahe beleidigend in seine Schranken gewiesen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren auÃenpolitisches Augenmerk weit mehr auf Skandinavien und das Baltikum gerichtet war als auf die Südküste, reiste zunächst nach Grönland, bevor sie sich den EU-Mitgliedern Malta und Zypern zuwandte. Die grauenhaften Gemetzel, die in den 90er Jahren in Algerien begangen wurden, waren in Berlin kaum zur Kenntnis genommen worden. In Zukunft müssen die Europäer sich jedoch bewuÃt sein, daà die Vorgänge im benachbarten nordafrikanischen Maghreb den eigenen Kontinent weit schicksalhafter belasten dürften als der sinn- und endlose Partisanenkrieg im fernen afghanischen Hindukusch.
Fluchtpunkt Europa
21. 02. 2011
Terrorismus wird stets als die gröÃte Gefahr für Europa beschrieben. Die Konfliktsituation, in die unser Kontinent in Zukunft geraten dürfte, resultiert jedoch weniger aus dem religiösen Fanatismus vereinzelter Bombenzünder â die USA sind seit 9/11 durch kein einziges islamistisches Attentat heimgesucht worden â, sondern aus der demographischen und gesellschaftlichen Diskrepanz, wie sie sich zwischen dem Nord- und dem Südufer des Mittelmeers auftut. Die rasante Bevölkerungszunahme in den benachbarten nordafrikanischen und arabischen Ländern, verbunden mit einem wachsenden Notstand breiter hungernder Schichten, heizt explosive Spannungen an, wie sie vor allem in Frankreich, Italien und Spanien bereits zu verspüren sind.
Man muà sich vor Augen halten, daà der Irak im Jahre 1950 ungefähr fünf Millionen Einwohner hatte und diese Zahl heute in Mesopotamien auf mehr als dreiÃig Millionen angeschwollen ist. Oder Algerien, das 1960 von acht Millionen Arabern und Berbern besiedelt war, zählt heute mehr als dreiÃig Millionen Einwohner. Bisher waren diverse Mitglieder der EU, die von der verzweifelten Nord-Süd-Migration unmittelbar betroffen waren, bemüht, mit den jeweiligen Machthabern ein Stillhalteabkommen auszuhandeln. Die jeweiligen auÃereuropäischen Regierungen verpflichteten sich, den Massenexodus ihrer Bürger oder den Transit aus dem Sahelgürtel zu kontrollieren und notfalls durch Polizeimethoden einzudämmen. Ein wenig ruhmvolles Beispiel dafür stellt das bilaterale Abkommen zwischen Italien und
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