Die Welt aus den Fugen
für das erschreckend tiefe Niveau gilt der Verzicht des moderaten Kandidaten Jon Huntsman, des Exgouverneurs von Utah. Er hatte als US-Botschafter in China dadurch geglänzt, daà er sich flieÃend auf Mandarin ausdrücken konnte. Die Tatsache, daà er die Sprache des chinesischen Todfeindes beherrscht, machte ihn aber in den Augen der extremen Chauvinisten verdächtig â genauso wie es damals John Kerry in seiner Auseinandersetzung mit Georg W. Bush schadete, daà er zu europäisch wirkte und französisch sprach.
Mitt Romney mag die Vorwahlen in Ohio, New Hampshire, South Carolina und gar in Florida gewinnen. Aber schon läuft eine Diffamierungskampagne an, die dank der elektronischen Medien zu einer Schlammschlacht sondergleichen werden könnte. Die Tatsache, daà Romney Mormone ist, wird ihm bei der Masse der Evangelikaner heftige Gegnerschaft einbringen. Schon heiÃt es, Romney habe als Manager einer Industriegesellschaft Geschäftsmethoden praktiziert, die man in Deutschland als »Heuschrecken-Kapitalismus« bezeichnete. Das könnte Gewicht haben in einem Land, in dem die Illusion des American Dream allmählich verlorengeht.
Einig sind sich alle republikanischen Wortführer in ihrer fanatischen Ablehnung Barack Obamas, den man sozialistischer Tendenzen bezichtigt, dem man vorwirft, Klassenkampf und Staatsdirigismus zu fördern, kurz: sich auf europäische Modelle auszurichten. Aufgrund seiner selbst verschuldeten Rückschläge wegen gebrochener Versprechen schien Obama noch unlängst nicht die geringste Aussicht zu haben, eine neue Amtszeit als Präsident erringen zu können. Jetzt dürften ihn ausgerechnet seine erbittertsten Gegner zuversichtlicher stimmen, zumal wenn er als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft die beliebte und fähige AuÃenministerin Hillary Clinton benennen sollte.
Der Diktator der Alawiten
20. 02. 2012
Wie lange sich das Regime des syrischen Präsidenten Bashar el-Assad gegen das Kesseltreiben seiner Nachbarn und die zunehmend militante Opposition seiner eigenen Bevölkerung behaupten kann, ist ungewiÃ. Die Volksbefragung über eine neue liberale Verfassung, die Assad angeboten hat, wird ihm wenig helfen können. Immerhin wird jetzt offiziell eingestanden, daà die sogenannte Syrische Freiheitsarmee, die sich gegen die regierende Baath-Partei in Damaskus erhoben hat und sich angeblich aus Deserteuren der regulären Streitkräfte zusammensetzt, vom Ausland â sei es der Libanon, Jordanien, die Türkei und vor allem die Anbar-Provinz des Irak â nicht nur mit humanitärer Hilfe, sondern auch mit Waffen beliefert wird.
Es besteht nicht der geringste Grund, die blutrünstige Diktatur der Assad-Dynastie zu verharmlosen oder gar in Schutz zu nehmen. Aber angesichts des chaotischen Zustandes, auf den sich Ãgypten seit dem Aufstand auf dem Tahrir-Platz zubewegt, angesichts auch der grausamen Stammesfehden, die das vom Tyrannen Qadhafi befreite Libyen belasten, muà man sich fragen, wie die zu Recht entrüsteten Prediger von Demokratie und Meinungsfreiheit sich die Zukunft Syriens vorstellen. Die inneren Gegensätze â konfessioneller und ethnischer Art â wurden hier bislang nur durch die eiserne Faust des jetzigen Machthabers und seines Clans zusammengehalten und gezähmt. Ohne Kenntnis der vielfältigen Spaltungen, denen die Republik von Damaskus ausgesetzt ist, läÃt sich die jetzige Situation nicht analysieren. Seit dem Putsch des Luftwaffengenerals Hafez el-Assad, des Vaters des jetzigen Staatschefs, im Jahr 1970 kontrolliert nämlich die geheimnisvolle Sekte der Alawiten fast alle Schlüsselpositionen in Armee und Verwaltung. Bei den Alawiten, die höchstens zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung Syriens ausmachen, handelt es sich nicht â wie oft behaupÂtet wird â um einen Zweig der schiitischen Glaubensgemeinschaft, sondern um eine okkulte Gemeinde, die â ähnlich wie die Aleviten der Türkei â präislamischen, fast schamanistisch anmutenden Bräuchen anhängt. Für die rechtgläubigen Sunniten sind sie ein Greuel der Ketzerei. Unter der langen osmanischen Herrschaft wurden die Alawiten immer wieder massakriert. Erst das französische Völkerbundsmandat hat ihnen die Chance des sozialen Aufstiegs geboten.
Zwar darf ein Alawit seine religiösen Ãberzeugungen verheimlichen
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