Die Welt aus den Fugen
schon gar nicht aufgeregt. Die Umfragen haben ergeben, daà die beiden aussichtsreichsten Kandidaten, der amtierende Präsident Nicolas Sarkozy und der ehemalige Generalsekretär der Sozialistischen Partei, François Hollande, mit 29 und 28,5 Prozent im ersten Wahlgang praktisch eine gleich groÃe Anhängerschaft aufbieten können.
Bei der wirklichen Entscheidung, die im zweiten Wahlgang vierzehn Tage später gefällt wird, räumen die Prognosen Âjedoch dem sozialistischen Anwärter einen Vorsprung ein. Er würde Sarkozy, dem nur 40 Prozent der Stimmen zugerechnet werden, mit 55 Prozent deutlich überflügeln.
Dennoch bleiben viele Fragen offen. Die mangelnde politische Leidenschaft, mit der die Franzosen dieses Duell verfolgen, läÃt vermuten, daà die Stimmenthaltungen dieses Mal weit über den bisherigen Umfang hinausgehen werden. Dies, so meinen die Experten, könnte dem jetzigen Staatschef zugute kommen, falls die bürgerliche Mitte zusätzliche Wähler mobilisieren und die Angst vor sozialistischen Experimenten schüren kann. Mit seinem Vorschlag, die Einkommenssteuer für GroÃverdiener auf 75 Prozent zu erhöhen, hat Hollande die Befürchtung geweckt, einen strammen Linkskurs steuern zu wollen.
Keineswegs entschieden ist andererseits die Orientierung, die die Gefolgschaft jener beiden Kandidaten einschlagen wird, die beim ersten Urnengang am 22. April mit 14,5 beziehungsweise 15 Prozent einen bemerkenswerten Erfolg verbuchen könnten. Es handelt sich um den jakobinisch auftretenden Europakritiker Jean-Luc Mélenchon auf der Linken und die ultranationalistische Amazone Marine Le Pen, die Tochter des Gründers des Front National. Schon verkünden die Auguren, daà die Mehrheit der Wähler der Links-Front Mélenchons sich am Stichtag für Hollande ausspricht, während die Gefolgschaft Marine Le Pens zu einem weit geringeren Prozentsatz für Sarkozy Stellung bezieht. Seinen schwindenden Chancen tritt Sarkozy in der letzten Runde mit einer Dynamik und einer Eloquenz entgegen, neben denen François Hollande recht blaà erscheint. Die Würfel sind also noch nicht gefallen.
Wer hätte gedacht, daà Marine Le Pen bei ihrem Feldzug gegen die verkrusteten Eliten und die lähmende Routine bei den Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren an erster Stelle liegt? Andererseits hat sich erwiesen, daà die BeeinfluÃung der Wähler durch die Medien einem zeitgemäÃen Wandel unterworfen ist. Noch liegt das Fernsehen als politische Bühne an erster Stelle. Doch dann folgen Internet und Facebook mit klarem Abstand vor dem Hörfunk, während der Einfluà der Printmedien auf zehn Prozent absackt.
Was Sarkozy betrifft, so glaubt jedermann zu wissen, welches seine Stärken und seine Schwächen sind. Um möglichst weit in das Feld Marine Le Pens einzudringen, ist er gezwungen, populistische und extrem patriotische Töne anzuschlagen. Zu seinem Nachteil wirkt sich jedoch die unerfreuliche Wirtschaftssituation aus, in der Frankreich sich zur Zeit befindet, sowie der relativ hohe Stand der Arbeitslosigkeit.
AuÃenpolitisch ist er auf die Europapolitik und die enge Zusammenarbeit mit Deutschland eingeschworen. Angela Merkel hat ihre Präferenz für den amtierenden Staatschef Frankreichs deutlich zu erkennen gegeben. Aber auch der ÂSozialist François Hollande hütet sich, irgendeine Polemik gegen die kontinentale Einigung anzustimmen. Er hatte sich sogar geleistet, den Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, zu einer seiner Wahlveranstaltungen einzuladen.
Es sind keine Abgründe, die sich in Frankreich auftun, wie auch immer die Entscheidung der Wählerschaft am Ende ausfallen mag. Bei Hollande wäre allenfalls eine gewisse Schwerfälligkeit beim Anpacken der dringenden internationalen Probleme und bei der Begrenzung der verhängnisvollen Krise zu befürchten, die jenseits des Mittelmeers im arabisch-islamischen Raum zu einem Flächenbrand auszuarten droht. Auch die Beziehungen zu Washington wären dann weniger eng als in der jüngsten Phase enger französischer Zusammenarbeit mit der Atlantischen Allianz.
Für temperamentvolle Auftritte und bissige Erheiterung haben in diesem Wahlkampf bisher nur zwei Personen â wohlgemerkt: zwei Frauen â gesorgt. Da steht auf der einen Seite die schlagfertige Bretonin Marine Le Pen,
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