Die Welt aus den Fugen
und sogar â wie die Familie Assad es praktizierte â den Ãbertritt zum sunnitischen Islam proklamieren. Aber die konfessionellen Gräben wurden dort längst nicht zugeschüttet. Sie brechen heute mit extremer Virulenz wieder auf. Zu erwähnen sind auch die Christen Syriens, die unter der säkularen Staatsdoktrin der allmächtigen Baath-Partei, die übrigens von einem orthodoxen Christen gegründet wurde, eine weit gröÃere Toleranz genieÃen, als das bei einem politischen Durchbruch der Sunniten der Fall wäre. Zu erwähnen sind ebenfalls die Minderheit der Drusen â auch eine kuriose Geheimreligion â sowie ein relativ starkes Kontingent von Kurden, die an der Grenze zur Türkei siedeln und dort für Unruhe sorgen. Wer sich heute im Westen vorstellt, ein Sturz des Assad-Regimes würde das Entstehen harmonischer und demokratischer Zustände zur Folge haben, irrt ebenso gründlich wie jene Ignoranten, die ein paar Wochen lang geglaubt hatten, die Millionen von liberalen Intellektuellen vom Tahrir-Platz in Kairo würden sich gegen die beiden wirklichen Machtfaktoren im Niltal, gegen die Armee und gegen die Islamisten, mit ihren fortschrittlichen Idealen durchsetzen. Syrien steht am Rande eines grauenhaften Bürgerkriegs. Wenn auch eine Vielzahl gemäÃigter Sunniten des Mittelstandes sich von extremistischen Stellungnahmen fernhalten, so könnte es dennoch zu einer unerbittlichen Auseinandersetzung zwischen den »Jihadisten«, den sunnitischen Kämpfern des Heiligen Krieges, und der zum ÃuÃersten entschlossenen alawitischen Gemeinde kommen. Den Alawiten stände nicht nur der Machtverlust bevor, sondern es käme zum Abschlachten dieser von vielen verhaÃten AuÃenseiter.
Wer dem noch jungen Präsidenten Bashar el-Assad begegnet, entdeckt einen hochgewachsenen, höflichen Gesprächspartner. Seine Gegner verhöhnen ihn als die »Giraffe«. An die Spitze des Staates ist er nur gelangt, weil sein Bruder Basil bei einem Autounfall ums Leben kam. Er selbst lieà sich in London zum Augenarzt ausbilden und besaà keine politischen Ambitionen. Aufsehen erregte seine Frau Asma Assad, eine in England geborene sunnitische Syrerin, deren angesehene Familie aus der heute heià umkämpften Stadt Homs stammt. Asma Assad verfügte beim Volk über hohes Ansehen. Sie galt als relativ liberal und sozial engagierte Intellektuelle. Wenn sie sich heute vorbehaltlos auf die Seite ihres Mannes stellt, so liegt das wohl an der Tatsache, daà sie ihm das Schicksal des zu Tode gefolterten Libyers Qadhafi ersparen will. Es mutet ja auch seltsam an, daà gerade die reaktionärsten und intolerantesten Staaten der Arabischen Liga â gestützt auf El Qaida â eine Kampagne gegen Syrien betreiben, an deren Ende der Zerfall des Staates sowie ein Blutbad sondergleichen stehen dürften. Unweigerlich würde sich der konfessionelle Konflikt auf die Nachbarstaaten Libanon und Irak ausweiten. Darüber hinaus wird in Syrien die fundamentale Feindschaft ausgetragen, die zwischen dem Königreich Saudi-Arabien â mit Hilfe der USA â und der Islamischen Republik Iran um die Vorherrschaft am Persischen Golf entbrannt ist â eine Konfrontation von globaler Bedeutung.
Der wiedergewählte Zar
19. 03. 2012
Wladimir Putin sei ein »lupenreiner Demokrat«, hatte seinerzeit der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder behauptet und damit einen Sturm der Belustigung ausgelöst. Die Freundschaft zwischen den beiden Männern wurde zusätzlich ins Zwielicht gerückt, als Schröder nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Regierungschefs eine prominente Position im allmächtigen russischen Energiekonzern Gasprom übernahm. Seit der letzten Präsidentschaftswahl in RuÃland, die Putin mit 64 Prozent gewonnen hat, werden die westlichen Kanzleien und Kommentatoren nicht müde, auf den flagranten Wahlbetrug zu verweisen, der ein solches Ergebnis angeblich ermöglicht hat. In Washington, London und Berlin hat man wohl vergessen, daà in diversen Ländern des islamischen Orients groteske Erfolgsmeldungen der dortigen Diktatoren, die an 100 Prozent heranreichen, mit resigniertem Achselzucken akzeptiert werden, soweit die dortigen Machthaber sich den Wünschen und Forderungen der westlichen Allianz gefügig zeigten.
Ob alles mit rechten Dingen zugegangen
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