Die Welt aus den Fugen
Hussein Tantawi, der Vorsitzende des Militärrats, hat mehr Vollmachten, als sie Mubarak je hatte. Und er geht mindestens ebenso brutal gegen jede Form von Opposition vor wie einst Mubarak.
Als die Menschen im Januar auf den Tahrir-Platz gingen, jubelte der Westen. Auch, weil sich das Militär zurückgehalten hat.
Ja, man jubelte, weil weder israelische noch amerikanische Flaggen verbrannt wurden und auch keine »Allah ist groë-Rufe zu hören waren. Die Menschen wollten Freiheit und Demokratie und standen uns dadurch sehr nahe. Daà diese Leute â und das ist sogar in Tunesien festzustellen â weder ein Programm noch Führungspersönlichkeiten, noch eine zugkräftige Partei hatten und haben, wurde übersehen. Ihr Rückhalt in der Bevölkerung ist auch deshalb minimal. Die islamistischen Parteien hingegen, auch die gemäÃigten, verfügen in jedem Dorf über ein eigenes Wahlbüro â und das ist die Moschee, wo der Iman sie bei jeder Freitagspredigt natürlich auffordert, eine islamische Partei zu wählen.
Militärchef Tantawi ist zur neuen HaÃfigur der Ãgypter geworden. Würde sein Rücktritt die Lage denn entschärfen?
Kaum. Die Armee hat sich daran gewöhnt, ungeheure Privilegien zu genieÃen. Die Militärs haben die Proteste gegen Präsident Mubarak nur geduldet, weil er zu alt und zu krank war und zudem seinen Sohn als Nachfolger installieren wollte. Deshalb hat das Militär seinen Sturz zugelassen. Doch das bedeutet nicht, daà es die Hand, die es noch immer schützend über Mubarak hält, zurückziehen wird. Um sein Leben muà der gestürzte Diktator nicht fürchten â jedenfalls nicht vor Gericht.
Stichwort Privilegien.
Die Militär-Oberen verfügen nicht nur über eine beachtliche Armee, sondern beherrschen auch weite Teile der Wirtschaft. Damit bilden sie einen Staat im Staate. Auf die daraus resultierenden, auch finanziellen Möglichkeiten und andere Vergünstigungen wird die Generalität ungern verzichten. Das hat sie ja auch schon klargemacht. Allerdings: Dieses Verhalten bringt groÃe Teile der Bevölkerung und die muslimischen Massen zur WeiÃglut â und das kann noch zu groÃen Auseinandersetzungen führen.
Gibt es denn überhaupt eine Kraft, die stark genug wäre, um die Armee auszuhebeln?
Wenn die Armee geschlossen bleibt, dann kann das passieren, was in Algerien passierte: eine unerbittliche militärische Repression und am Ende eine Militärherrschaft. Es gibt aber auch die Möglichkeit, daà junge Offiziere ihre mehr oder weniger korrupten Generale allmählich satt haben und daà aus der Armee heraus eine Gegenbewegung erwächst. Sonst ist die Macht der Armee kaum zu brechen.
Lassen Sie uns noch kurz auf den Iran blicken. Welche Sprengkraft birgt der Streit um das Atomprogramm des Landes, und sind Sanktionen sinnvoll?
Nun, Sanktionen haben noch nie etwas gebracht. Das lehrt die Erfahrung. Unter Sanktionen, das haben wir im Irak gesehen, leidet nicht das Regime, sondern die Zivilbevölkerung. Was im Irak passierte, war grauenvoll. Die Sterblichkeit unter Kleinkindern schnellte nach oben; diese Sanktionen waren ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sollten gegen den Iran Sanktionen verhängt werden, dann sollte neben vielem anderen auch bedacht werden: Wenn das dort geförderte Erdöl nicht in den Westen flieÃt, dann wird es nach China verkauft.
Wie gefährlich sind der Iran und sein Atomprogramm?
Daà der Iran an einer Atombombe bastelt, will ich nicht in Abrede stellen. Ayatollah Khomeini war nicht dafür, er hat die Bombe stets abgelehnt. Aber seit er gestorben ist, wird wohl daran gebastelt. Allerdings: Eine Atombombe baut man ja nicht, um Europa, Amerika oder Israel damit anzugreifen. Es ist eine Abschreckungswaffe. Sogar Martin van Crefeld, Professor für Militärgeschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem, hat mir gesagt: âºWenn ich Iraner wäre, würde ich mich auch um eine Atombombe bemühen.â¹ Die Iraner sind von mit Atomwaffen bestückten Staaten umgeben, die ihnen nicht gerade wohlgesinnt sind. Also â¦
Wie groà sind die EinfluÃmöglichkeiten des Westens. Nicht nur im Iran, sondern in der gesamten islamischen Welt?
Man sollte endlich aufhören, den Leuten im Orient ständig mit unseren Vorstellungen von Demokratie und Marktwirtschaft zu kommen.
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