Die Welt aus den Fugen
ist zwischen Kaliningrad und Wladiwostok, mag dahingestellt bleiben, aber wer die Stimmung der russischen Bevölkerung auf dem Land und in den Provinzstädten kennt, kommt zum SchluÃ, daà die Manipulation sich in Grenzen gehalten hat. Die Protestkundgebungen, die in Moskau stattfanden, erinnern in mancher Beziehung doch allzusehr an die redliche, aber dilettantische Facebook-Revolution, die sich auf dem Tahrir-Platz von Kairo abspielte. Als es dann wirklich zu freien Wahlen im Niltal kam, erwiesen sich diese Schwärmer für Freiheit und Demokratie als eine führungs- und programmlose Minderheit, die den islamistischen Massenbewegungen eine erdrückende Mehrheit im Parlament überlassen muÃte.
Mit den westlichen Vorstellungen politischer Gestaltung ist in RuÃland nicht viel Staat zu machen. Die Sowjetunion ist ja vor zwanzig Jahren am überstürzten Versuch Gorbatschows zerbrochen, unter den Losungen von Perestroika und Glasnost einen radikalen Reformkurs einzuschlagen. Die russische Bevölkerung wurde damals in unsagbares Elend gestürzt, während eine kleine Ausbeutergruppe von Oligarchen sich auf unglaubliche Weise bereicherte. Der Mehrzahl der Russen dürfte die eiserne Disziplin, die Wladimir Putin seinem Volk auferlegt, nach diesem Experiment wie eine Wohltat erscheinen. In Zukunft wird es für den wiedergewählten Zaren darum gehen, die MiÃstände in Wirtschaft und Infrastruktur, die RuÃland weiterhin belasten, mit Hilfe seines immensen Reichtums an Rohstoffen und in Zusammenarbeit mit den hochtechnisierten Staaten Westeuropas auf den Weg einer längst fälligen Modernisierung zu bringen. Die erstrebenswerte Meinungsfreiheit der Bevölkerung mag dann wohl noch ein wenig auf sich warten lassen.
Wer waren denn schon die Rivalen, die Wladimir Putin entgegentraten? Am besten hatte der Altkommunist Sjuganow mit 17 Prozent der Stimmen abgeschnitten, aber dieser ehrbare Dinosaurier des Marxismus-Leninismus entbehrt jeder charismatischen Ausstrahlung. Da tauchte auch ein vielfacher Milliardär namens Prochorow auf, dessen ungeheures Vermögen kaum auf ehrliche Weise zustande gekommen sein dürfte. Geradezu grotesk wirkte die Figur des ultranationalistischen Tribuns Schirinowski, der es auf kümmerliche sechs Prozent brachte. Was nun den in bürgerlichen Kreisen hochgeschätzten Liberalen Grigori Jawlinski betrifft, so findet er im Ausland mehr Zustimmung als bei seinen Landsleuten.
Die Präsidentschaftswahl in RuÃland in diesem Jahr war der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Volksbefragungen, die weltweit in Frankreich, in den USA, in diversen deutschen Ländern und sogar innerhalb der widerstrebenden Fraktionen der kommunistischen Einheitspartei Chinas bevorstehen. Sehr rühmlich erscheinen diese Auseinandersetzungen nicht. Ein Blick auf die jämmerliche Kandidatenriege der Republikanischen Partei in den USA wirkt vollends ernüchternd und bestätigt jene Kritiker, die ein Abgleiten der amerikanischen Demokratie in eine krasse Form der Plutokratie beanstanden. Auch in diversen Unionsstaaten des riesigen indischen Subkontinents werden in diesem Jahr die Gegensätze zwischen KongreÃ-Partei und hinduistischen Ultra-Nationalisten ausgetragen, aber wer die dortige zum Himmel schreiende Misere der Massen und die unerbittliche Diskriminierung des Kastensystems zur Kenntnis nimmt, kann es nur als Hohn empfinden, wenn Indien in den westlichen Medien immer wieder als die »gröÃte Demokratie der Welt« gefeiert wird.
Der Wahlsieg Wladimir Putins dürfte der riesigen LandmaÃe zwischen Polen und Japan zumindest eine gewisse Stabilität verleihen, die weite Teile der übrigen Welt schmerzlich vermissen. Eines ist sicher: Der neu bestätigte Kremlchef wird mit allen Mitteln versuchen, RuÃland wieder den Rang einer GroÃmacht zu verleihen. Im Verbund mit China wird Moskau dem amerikanischen Hegemonialanspruch resolut entgegentreten und ihn in seine Schranken weisen. Den Europäern stände es gut an, wenn sie ihre anmaÃende Rolle als demokratische Moralapostel reduzieren und sich der Bedeutungslosigkeit bewuÃt würden, die ihnen innerhalb der neuen globalen Mächtekonstellation droht.
Wahlkampf in Frankreich
16. 04. 2012
Nur noch wenige Tage verbleiben Frankreich bis zur Präsidentenwahl am 22. April. Aber trotz der UngewiÃheit des Ausgangs erscheint die Bevölkerung wenig engagiert und
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