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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Revolte der Schiiten im Süden des Irak blutigst niedergeschlagen. Die Amerikaner hatten die Schiiten damals zum Aufstand gegen Hussein aufgerufen und dann fallenlassen.
    Wie wirkt sich dieser Konflikt heute aus?
    Derzeit läuft vieles auf eine Konfrontation im Irak zwischen Sunniten und Schiiten hinaus. Mir haben Schiiten berichtet, sie würden umgebracht, wenn sie in den sunnitischen Teil des Irak gehen; man erkenne sie dort am Akzent ihrer Sprache.
    Nochmals zu Iraks Nachbarland Syrien. Syrien ist ein sunnitisches Land.
    Ein sunnitisches Land mit einer Minderheit von Alawiten, die aber in der Armee und den mächtigen Geheimdiensten stark vertreten ist. Zudem leben in Syrien noch Christen verschiedener Konfessionen, etwa zehn Prozent der Bevölkerung, von denen bei uns niemand redet. Die Christen haben die berechtigte Angst, daß ihnen das bevorsteht, was den Christen im Irak passiert ist. Dort sind die Hälfte der zwei Millionen Christen bereits geflohen. Saddam Hussein hatte die Christen in seinem Land geschont, er hat ihre Religion sogar gefördert. Er ließ Klöster aus der christlichen Frühzeit wieder aufbauen. Ich habe einen christlichen Kongreß im Irak besucht. Nach seinem Sturz hat sich die Lage für die Christen Iraks massiv verschlechtert.
    Wie war die Lage der Christen bislang in Syrien?
    Den Christen ging es bislang sehr gut in Syrien. Syrien wird ja von der säkularen Baath-Partei regiert, die sich religiös tolerant verhält. Christen hatten in Syrien zwar nie die höchsten Ämter inne. Sie hatten aber bisher ein wirtschaftlich gutes Auskommen in diesem Land. Die Christen sagen sich jetzt natürlich: So gut wie bisher wird es uns unter einer streng islamischen, vielleicht sogar salafistischen Regierung nicht mehr gehen. Genau dies könnte aber die Alternative zu Assad sein. Viele Christen stehen deshalb auf der Seite von Assad, auch wenn sie in die Kämpfe nicht involviert sind.
    Moment! Präsident Assad ist doch Alawit, nicht Sunnit wie die Bevölkerungsmehrheit. Wie verträgt sich dies?
    Man hört immer wieder, das Alawitentum sei eine Form des Schiitentums. Dies ist nicht ganz richtig, das Alawitentum ist eine Geheimlehre mit schamanistischen Elementen. Entscheidend für uns ist: In bestimmten Situationen der Bedrohung dürfen Alawiten ihre Religion verleugnen. Assad deklariert sich als Sunnit und hat sich auch offiziell vom Großmufti zum Sunniten erklären lassen.
    Wie steht die syrische Bevölkerung zu der Befreiungsbewegung, die derzeit gegen Assad kämpft?
    Syrien ist, obwohl es wenig Erdöl hat, ein relativ wohlhabendes Land. Es gibt eine bedeutsame syrisch-sunnitische Mittelschicht. Sie will sich nicht mit einer Bewegung einlassen, die weder Programm noch Führung hat – dies ist ja die Schwäche des gesamten »Arabischen Frühlings«. Die Mittelschicht hält sich eher an Assad, er läßt sie in Ruhe ihre Geschäfte machen. Vor allem hat die Mittelschicht das vor Augen, was die Revolution Libyen eingebracht hat.
    Inwiefern Libyen?
    Nach dem Sturz Qadhafis fiel Libyen ins Chaos. Zum Glück ist Libyen ein sehr reiches Land. Die Menschen werden jetzt nicht verhungern. Libyen wird mit seinem Erdöl immer einen ordentlichen Lebensstandard für seine Bevölkerung erreichen können. Unter Qadhafi hatte Libyen den höchsten Lebensstandard der gesamten arabischen Welt.
    Viele Syrer befürchten also chaotische Verhältnisse wie in Libyen, wenn sich die Machtverhältnisse in ihrem Land ändern?
    Nicht nur wie in Libyen. Auch der algerische Bürgerkrieg der 90er Jahre ist den Syrern noch immer in schlimmer Erinnerung. Die machthabenden Militärs hatten seinerzeit in Verkennung der Lage freie Wahlen ausgeschrieben. Die Wahlen wurden auch relativ ehrlich durchgeführt. Zum Entsetzen der Militärs kam eine islamische Mehrheit an die Macht, die Islamische Heilsfront. Dies endete damals im Chaos, die Militärs haben geputscht. Es gab einen Bürgerkrieg mit 200 000 Toten. Dies alles wollen die Syrer nicht in ihrem Land.
    Wie viele Syrer stehen gegen Assad?
    Meiner Einschätzung nach die Hälfte der Syrer, mehr nicht. Die Situation steuert auf einen entsetzlichen Bürgerkrieg zu. Die Fronten verlaufen dann zwischen der sunnitischen Mehrheit und den Alawiten, die bei den Schiiten der Nachbarländer begrenzte Unterstützung finden, während die sunnitischen Rebellen von

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