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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Torheit, die die Berliner Diplomatie sich in den vergangenen Jahren geleistet hat, war doch das Flugverbot mit keinerlei Verpflichtung für die Zustimmenden verbunden, auch nur einen einzigen Soldaten, geschweige denn ein eigenes Kampfflugzeug in den sich abzeichnenden Wüstenfeldzug einzubringen. In Washing­ton dürfte die deutsche Stimmenthaltung Zweifel an der Verläßlichkeit Berlins hinterlassen haben. Die Kampfkraft der Qadhafi-Armee und der hochgerüsteten Söldnertruppe, die er unter den schwarzen Sahelvölkern seiner südlichen Nachbarschaft, vor allem bei den kriegerischen Tuareg rekrutiert hatte, erwies sich als wesentlich schlagkräftiger, als man bei der NATO vermutet hatte. Schon sah es aus, als könne es dem Diktator binnen zwei Wochen gelingen, auch ohne Einsatz der eigenen Luftwaffe die aufrührerische Cyrenaika und die Hochburg der Revolte in der Hafenstadt Misrata mit seinen Panzerkolonnen zu zermalmen. In vierzig Jahren Alleinherrschaft hatte er das Volk auf die abstrusen Thesen seines »grünen Buches« eingeschworen, es aber auch als authentischer Beduinensohn verstanden, die zahlreichen Stämme Libyens gegeneinander auszuspielen und zu neutralisieren. Der Westen sah die Chance schwinden, diesen paranoiden Anstifter des internationalen Terrors, den vermutlichen Anstifter der Flugzeugkatastrophe von Lockerbie und der Bomben­explosion in der Berliner Diskothek »La Belle«, seinem verdienten Schicksal zuzuführen. Die Wut der Regierungen in London, Paris und Washington auf diesen mörderischen Ex­zentriker war um so größer, als sie sich noch 2003 nach Zah­lung eines »Blutgeldes« in Milliardenhöhe schamlos mit ihm versöhnt und – im Hinblick auf den Petroleumreichtum Libyens – zu einem entwürdigenden Kotau bereit gefunden hatten.
    Es waren dieses Mal nicht die Amerikaner, sondern die Briten und vor allem die Franzosen, die auf eine unverblümte militärische Intervention auf seiten der Rebellen drängten. Immerhin hatte die US Air Force die stark bestückte Luftabwehr Qadhafis ausgeschaltet, so daß keine französische oder britische Maschine bei ihrem extrem präzisen Bombardement oder Strafing abgeschossen wurde. Den Auftakt gab Nicolas Sarkozy, der plötzlich eine napoleonische Ader in sich entdeckte, ständig über Landkarten und Zielangaben gebeugt war und – das entbehrt nicht der Komik – sich von dem Salonlöwen und Modephilosophen Bernard-Henri Lévy beraten und anspornen ließ. Die Panzerkolonnen des immer noch soliden Regimes von Tripolis näherten sich den Vororten von Bengasi, wo unter aktiver Mitwirkung amerikanischer Experten eine oppositionelle Übergangsregierung gebildet worden war. Daß ihr prominente Mitarbeiter und Minister Qadhafis angehörten, irritierte die libyschen Islamisten, zumal die der kriegerischen Bruderschaft der Senussi, die noch 1995 zum Partisanenkampf aufriefen und – soweit sie überlebt hatten – viele Jahre in den Kerkern des »Obersten Führers« geschmachtet hatten. Mit der Rückeroberung Bengasis durch Qadhafi wäre der »Arabische Frühling« Libyens endgültig und unerbittlich ausgelöscht worden.
    Im Verlauf einer überstürzt einberufenen Sitzung in Paris und noch bevor die Beratungen abgeschlossen waren, erteilte Sarkozy, der inzwischen den französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle in Richtung auf die tripolitanische Küste in Bewegung gesetzt hatte, den Befehl zum unverzüglichen Eingreifen der französischen Luftwaffe. Hunderte von gepanzerten Fahrzeugen der Qadhafi-Armee wurden bei dieser exakt ausgeführten Operation zertrümmert. Aber das genügte nicht, um die Lage zugunsten der Revolution zu wenden. Die sogenannten Freiheitskämpfer verfügten zwar über eine Vielzahl von Infanteriewaffen, aber im Gegensatz zu den in permanenten Stammeskriegen erprobten Afghanen erwiesen sie sich als ziemlich untaugliche, undisziplinierte Kämpfer. Es blieb kein Geheimnis, daß hochprofessionelle »Commandos« des britischen Special Air Service, der französischen For­ces Spéciales und auch Agenten der amerikanischen CIA an der heiß umkämpften Küstenstraße Libyens, die die Lebensader dieses Landes ist, auftauchten, um den Aufständischen den Umgang mit Waffen beizubringen und notfalls auch unmittelbar in die Gefechte

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