Die Welt aus den Fugen
genannt â bis zu den bärtigen Salafisten, die dem Extremismus von El Qaida nahestehen. Sogar von Berbermilizen wurden wir aufgehalten, die alte Rechnungen mit der erzwungenen Arabisierung Qadhafis zu begleichen hatten und aus dem Djebl Nafusa zur Küste vorgedrungen waren. Zu erkennen waren die Berber an ihren seltsamen runenähnlichen Schriftzeichen. Was nun die endgültige Gestaltung der brodelnden »Jamahiriya« betrifft, so bilden die Vorschriften der Scharia wohl die einzige gemeinsame Richtlinie. Jenseits der Luxushotels von Tripolis werden alte Fehden ausgetragen. An miÃliebigen Kollaborateuren und vor allem an den schwarzen Söldnern Qadhafis wird eine Lynchjustiz ausgeübt, die der Grausamkeit ihrer Vorgänger in nichts nachsteht.
Im Süden Libyens dehnt sich die Unendlichkeit der Wüste und eine weite Zone der Unsicherheit. Wer in der Provinz Fezzan den Ton angibt, die auÃerhalb des Verwaltungssitzes Sebha kaum bevölkert ist, bleibt umstritten. In diesen Weiten behaupten zahlreiche Anhänger des alten Regimes ihre Stellungen, und das Kriegervolk der Toubou, das schon die französische Kolonialtruppe im benachbarten Tschad in ständige Alarmbereitschaft versetzte, sorgt für Unruhe. Die Jihadisten, die von dem gestürzten Diktator unerbittlich verfolgt wurden und teilweise ihre kriegerische Erfahrung bei den afghanischen Mujahidin gesammelt hatten, werden schwerlich bereit sein, die Macht über diesen chaotischen Staat irgendwelchen Schöngeistern oder Bürokraten zu überlassen, die nie die Waffe geführt haben. Der imponierende Partisanenführer Abdel Hakim Bel Haj, der am Hindukusch gegen die Sowjets und die Amerikaner gekämpft hatte, der in Guantánamo gefoltert und nach seiner offiziellen Freilassung von der CIA an Qadhafi ausgeliefert wurde, läÃt sich schlecht einordnen in das versöhnliche Nebeneinander, das manchen westlichen Illusionisten offenbar vorschwebt.
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Der »Arabische Frühling« hat auch in Libyen Folgen nach sich gezogen, die erschaudern lassen. Es ist erstaunlich, daà sich die Erkenntnis über die fatale Unberechenbarkeit einer jeden militärischen Aktion, wie sie Clausewitz darstellt, in den Schriften des mittelalterlichen Maghrebiners Ibn Khaldun und seinen »Muqaddima« wiederfindet. »Im Kriege ist man sich des Sieges nie gewië, so argumentiert er, »selbst wenn man über die Ãberlegenheit der Waffen und der Zahl verfügt. Denn der Sieg ist die Frucht der Fortüne und des Zufalls. Es gibt zahlreiche Faktoren, die zur Ãberlegenheit verhelfen. Die einen sind materiell: Truppenstärke, Qualität der Bewaffnung, Tapferkeit der Männer, Schlachtordnung, angepaÃte Taktik und so weiter. Andere maÃgebliche Faktoren sind unauffälliger: die Kriegslist, die irreführenden Gerüchte, die den Feind demoralisieren, die Benutzung geeigneter Ausgangspositionen, die unerwartete Ãberfälle erlauben, die Nutzung des Terrains, der Schluchten und der Felsen, wenn eine der Kriegsparteien plötzlich auftaucht und den Gegner, der sich unterlegen fühlt, dazu veranlaÃt, sein Heil in der Flucht zu suchen.«
Das alles trifft auf die heutige Situation im Fezzan zu. Darüber hinaus hat jedoch eine beunruhigende Ausweitung der Feindseligkeiten, des Heiligen Krieges, stattgefunden, seit die gesamte Sahelzone, der breite Steppengürtel südlich der Sahara, der sich von Somalia im Osten zum Senegal im Westen erstreckt, von der islamischen Revolution erfaÃt wurde. Die schwarzen Söldner Qadhafis sind über die Grenze Libyens nach Süden ausgeschwärmt und haben ihre moderne Ausrüstung mit sich genommen. Die Republik Niger, die einst dem »Empire Colonial français« angehörte, stürzte in Anarchie. Die meisten Sorgen bereitet den westlichen Strategen jedoch der Zerfall der Republik Mali, in deren Nordhälfte die verschleierten Kamelreiter der Tuareg zunächst einen eigenen Staat »Azawad« gründen wollten. Sie wurden jedoch durch das Aufgebot einer extrem islamistischen Organisation besiegt, die sich den Namen »Ansar-ed-Din«, Gefährten der Religion, zulegte. Diese Fanatiker riefen an den Ufern der Niger-Schleife zwischen Gao und Timbuktu einen koranischen Gottesstaat ins Leben.
In Timbuktu, diesem ehrwürdigen, wenn auch versandeten Juwel islamischer Frömmigkeit und Wissenschaft, haben die »Ansar-ed-Din«
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