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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Staatsgründung jenseits des Mittelmeers durch die Militärs mit Erleichterung zur Kenntnis genommen hatten.
    Zum Tee bei der »Giraffe«
    Wer den Zustand Syriens beschreiben will, setzt sich einem ­großen Wagnis aus. Zu viele Imponderabilien verdüstern die grausame Realität. In der Hauptstadt des früheren Omayyaden-­Kalifats stimmte bereits Ibn Khaldun, der dort mit dem fürch­terlichen Tamerlan zusammentraf, ein Klagelied an: »Welches Unheil wird über Damaskus hereinbrechen. Seine herrliche Moschee ist der Vernichtung geweiht. Das Ende der Frömmigkeit wird begleitet sein von Mord. Überall fließt Blut, jammern die Gefangenen, stöhnen die Gelehrten, und die Menschen werden verbrannt. Die Erde hat sich schwarz gefärbt. Niemand kümmert sich darum, den wahren Glauben zu verteidigen. Dabei sollten alle bereitstehen zum Schutz Syriens. Ihr Araber aus Ägypten und dem Irak, erhebt euch voll Entschlossenheit und eilt herbei, um die Ungläubigen zu töten!«
    Kaum ein anderer Staat des Orients war solchen internen Gegensätzen ausgesetzt wie das Land am Orontes. Das französische Mandat hatte hier nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches eine Folge von Fehlentscheidungen getroffen. Da die sunnitische Mehrheit von etwa siebzig Prozent der Syrer sich mit der Bevormundung durch eine europäische, eine christliche Macht nicht abfinden konnte, versuchten die Administratoren aus Paris das uralte Prinzip des »divide ut imperes« anzuwenden. Nach der Abtrennung des multikonfessionellen Libanon verblieben noch zehn Prozent Christen zwischen Damaskus und Aleppo. Sie genossen eine besondere Bevorzugung, und die Rückkehr der »Franken« wurde von ihnen als Befreiung vom türkischen Joch empfunden. Die Drusen – eine kriegerische Gemeinschaft, deren Geheimreligion sogar die Seelenwanderung in ihre synkretistischen Mythen aufgenommen hat – leisteten hingegen hartnäckigen Widerstand, der durch die Fremdenlegion gebrochen wurde. Blieb die Gemeinde der Alawiten – etwa zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung –, die man fälschlich als Schiiten bezeichnet, obwohl zahlreiche schamanistische Bräuche in ihren streng geheimen Kultübungen überlebt haben und der Imam Ali innerhalb einer mysteriösen Dreifaltigkeit gottähnliche Verehrung genießt.
    Die osmanischen Sultane und Kalife, vor allem Selim I., der Grausame, haben diese Alawiten – Nachkommen der Kreuzfahrer, oder Erben der Haschischin des »Alten vom Berge«, wie manche behaupten – auszurotten versucht. So zogen sich diese eigenwilligen Sektierer und Außenseiter in die schwer zugänglichen Küstengebirge zwischen Lattaquié und Tartus zurück. Die französische Mandatsverwaltung glaubte, bei ­ihnen verläßliche Verbündete zu finden. Die in äußerster Armut und Unwissenheit lebenden Alawiten versuchte man in einem autonomen Sonderstaat zusammenzufassen. Hier fanden sich auch Freiwillige für die »forces supplétives«, eine einheimische Truppe, die von französischen Offizieren kommandiert wurde. Die neugegründeten Schulen der Alawiten richteten sich auf das säkulare Modell des französischen Erziehungswesens aus, während die Sunniten mehrheitlich an ihren koranischen Medressen festhielten. Blieb noch im äußer­sten Nordosten eine kurdische Splittergruppe, die heute auf zwei Millionen angewachsen ist. Selbst die sunnitische Mehrheit wurde von internen Gegensätzen geprägt. Da standen die Derwische der Sufi-Orden oder Turuq den strengen Gläubigen koranischer Orthodoxie gegenüber.
    Mein erster Aufenthalt in Damaskus fand im Sommer 1951 statt, und da wurde die 1945 aus dem französischen Mandat entlassene Republik schon durch interne Wirren gebeutelt. 1951 hatte sich ein gebürtiger Kurde, der Oberst Schischakli, an die Spitze des Staates geschossen. Er beauftragte eine kleine Gruppe ehemaliger deutscher Wehrmachtsoffiziere, auf den Golanhöhen Befestigungen gegen den vor drei Jahren gegründeten Staat Israel auszubauen. Syrien ist seitdem nicht zur Ruhe gekommen. Die Politiker von Damaskus wandten sich schließlich einer säkularen, panarabischen Formation zu, der »Hizb el Bath el arabi«, der Partei der arabischen Wiedergeburt, deren Ideologie seltsamerweise von einem christlichen, griechisch-orthodoxen Lehrer, Michel Aflaq, entworfen worden war.

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