Die Welt aus den Fugen
wären, wie sie in RuÃland Gorbatschow herbeiführte, der Experte für Chaosstiftung und Staatsauflösung? Ich war auf dem Tiananmen-Platz, zwei Tage nach der gewaltsamen Auflösung der Belagerung. Ich hatte Sympathien für die jungen Idealisten, die sich im Namen der Freiheit in ein Abenteuer gestürzt haben. Seitdem haben sich zwischen Algier und Bogotá viel grausamere Tragödien ereignet, die man nicht immer aufbauscht.
Und wie ist es mit der Toleranz in Tibet bestellt?
Der Aufruhr vor den Olympischen Spielen, die Brandschatzung chinesischer Geschäfte und die Ãbergriffe, die auch die muslimische Minderheit der Hui trafen, waren das Ergebnis präziser Planung.
Wessen? Des Dalai Lama?
Das will ich nicht behaupten. Aber zweifellos durch tibetische Exilorganisationen initiiert, unter Mitwirkung ausländischer Geheimdienste und exzentrischer Figuren des amerikanischen Showgeschäfts. Der Dalai Lama wird benutzt, um gegen die Han-Chinesen und Peking zu hetzen.
Wenn man Sie so reden hört, könnte man denken, Sie sind ein »Kommunistenfreund« geworden?
Es geht nicht um Ideologie, Rotgardisten oder WeiÃgardisten. Ich wundere mich allerdings, daà heute ausgerechnet diejenigen Chinas Kommunisten belehren wollen, die vor nicht allzulanger Zeit das Abzeichen des »GroÃen Steuermanns« am Revers trugen und auf dessen »Rotes Buch« schworen.
Sie befassen sich mit der »Angst des WeiÃen Mannes«. Ist das nicht eine überzogene Behauptung?
Nein. Seit dem Zweiten Weltkrieg sieht sich der Westen globalen Machtverschiebungen ausgesetzt, denen er schon aus demographischen Gründen nicht gewachsen ist. Dem »WeiÃen Mann« ist vor allem das Monopol industrieller und militärischer Ãberlegenheit abhanden gekommen, auf das er bisher seinen imperialen Anspruch gegründet hat.
Das ist doch nicht schlecht?
Das sage ich auch nicht. Dem »WeiÃen Mann« fällt es aber schwer, sich mit der geschwundenen Macht und dem geschwundenen Prestige abzufinden.
Darf auch deshalb Iran keine Atombombe haben?
Das ist wieder so ein Zirkus. Auch hier hinken die Deutschen hinterher. Die Amerikaner sind gar nicht so scharf darauf, sich mit Teheran anzulegen. Die Russen haben sowieso ein gutes Verhältnis zur Islamischen Republik Iran. Und ein Universitätsprofessor in Israel sagte mir: »Wenn ich Iraner wäre, würde ich auch die Atombombe haben wollen. Nicht um sie abzuwerfen, sondern als Abschreckung.« Daà Pakistan im Besitz der Atombombe ist, finde ich sehr viel gefährlicher.
Weil Pakistan ein Pulverfaà ist?
Der traditionelle Verbündete der USA ist ein unsicherer Kantonist, latent gefährdet, in den Bürgerkrieg abzugleiten, in die Hände islamistischer Fundamentalisten zu geraten. Was haben die GroÃoffensiven der pakistanischen Streitkräfte mit US-amerikanischer Hilfe gegen die Terroristen bisher gebracht?
Der Krieg in Afghanistan hat zweifellos Pakistan destabilisiert. Das hätte man wissen können, bevor man ins Land am Hindukusch einmarschierte.
Man hätte so einiges wissen müssen. Die Briten hätten sich an ihr Desaster von 1842 erinnern sollen, als ihre aus Kabul mitsamt Familien abmarschierende Garnison am Khyber-Paà durch Stammeskrieger massakriert worden ist. Was damals so aufschreckend war, daà sogar der deutsche Dichter Theodor Fontane dem eine Ballade gewidmet hat: »Mit Dreizehntausend der Zug begann, einer kam heim aus Afghanistan.«
Man hätte auch die Russen fragen können, die nach zehnjährigem Zermürbungskrieg, trotz einer Besatzerarmee von über 130000 Mann, den Mujahidin unterlegen waren. Man tat es nicht. Die russische Generalität beobachtet sicher mit einiger Genugtuung, wie die Allianz jetzt in eine ähnlich schmähliche Situation gerät wie sie einst.
Sollte Deutschland sich schleunigst zurückziehen?
Ja. Im Gegensatz zu einem ehemaligen deutschen Verteidigungsminister bin ich nicht der Ansicht, daà Deutschland am Hindukusch verteidigt wird. Da wird eher RuÃland verteidigt. RuÃland ist viel mehr als alle anderen europäischen Staaten vom Islamismus bedroht. In den südlichen GUS-Staaten residieren ehemalige Parteisekretäre, die sich in orientalische Emire und Sultane verwandelt haben, aber doch den radikalen Islam unter Kontrolle halten. Wenn aber nun ein revolutionärer Islam mit sozialem Anspruch kommt, wird es
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