Die Welt aus den Fugen
Majestät in Madrid.
Weiter südlich stieà der portugiesische Navigator Pedro Cabral â ebenfalls auf der Suche nach Indien â auf eine Urwaldküste, die heute unter dem Namen Brasilien eine Entwicklung zum dynamischen Schwellenland, zur regionalen Hegemonialmacht durchläuft. Davon hätte noch vor hundert Jahren niemand geträumt.
An die erste Heilige Messe, die Cabral unweit des Hafens Porto Seguro zelebrieren lieÃ, erinnert am Strand eine ziemlich plumpe Darstellung. Daneben plazierte der Künstler eine Gruppe nackter Indianer, die auf ihre Bekehrung zum Christentum zu warten schienen. Erstaunlicherweise hat sich sogar ein kleiner Indianerstamm an dieser Stelle erhalten, auch wenn dessen Kinder sich für den Touristenrummel produÂzieren. Auf der Höhe findet man die Ruinen eines Klosters der Jesuiten, die im 18. Jahrhundert versuchten, in SüdbraÂsilien und Paraguay einen indianischen Gottesstaat zu gründen.
Unweit der Bucht von Porto Seguro waren im Jahr des Herrn 1500 die Karavellen des portugiesischen Admirals Pedro Alvarez Cabral vor Anker gegangen, und Cabral ergriff kurzerhand Besitz von der endlosen, heute brasilianischen Küste und dem kolossalen Hinterland. Das entsprach dem damaligen Völkerrecht, denn sechs Jahre zuvor war ein Abkommen unterzeichnet worden zwischen Madrid und Lissabon über die Aufteilung der Welt und der neu entdeckten Gebiete und Kontinente. Ganz besonders zu verzeichnen ist die Tatsache, daà der Papst, eine der schändlichsten Figuren der Kirchengeschichte übrigens, Alexander VI. Borgia, diese Teilung der Welt vollzogen hatte. Und damit eine Autorität, eine Macht der römischen Kirche zur Schau stellte, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann.
Die Inbrunst des katholischen Glaubens hat dem Lauf der Zeit nicht standgehalten. Vor dem goldenen Hintergrund des Altars der Kirche San Francisco in Salvador de Bahia zelebrieren zwei weiÃe Geistliche das MeÃopfer vor einer Handvoll dunkelhäutiger Gläubiger. Das Halleluja der alten Männer klingt wie ein Klageruf durch das Kirchenschiff, während kaum bekleidete Touristen den Gottesdienst als Kuriosität wahrnehmen.
Die römische Kirche sollte sich Sorgen machen um ihre Gläubigen in Brasilien. Diverse protestantische Sekten, Evangelikale und Endzeitprediger greifen um sich, finden bei der überwiegend negroiden Bevölkerung stärkeren Anklang, zumal Rom seit dem II. Vatikanischen Konzil auf seine beeindruckende triumphalistische Liturgie verzichtet hat. Als Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 São Paulo aufsuchte, enttäuschte er den Klerus und die Gläubigen, indem er vor allem das Verbot von Kondomen durch die Kirche betonte, in einem Land, wo oft schon Fünfzehnjährige schwanger sind und die Aids-Seuche um sich greift. Die Absage Roms an die Befreiungstheologie hat tiefe Narben hinterlassen.
In der Stadt Salvador, die gigantische AusmaÃe angenommen hat und als Schwerpunkt der Besiedlung durch die Nachkommen schwarzer afrikanischer Sklaven gilt, lösen sich die Elendsviertel, die Favelas, mit luxuriösen Hochhäusern ab. Daà diese sozialen Kontraste zwischen arm und reich nicht zu explosiven Spannungen geführt haben, ist der Einsicht der opulenten Oligarchie und deren Politiker zu verdanken, daà es sich für die Wiederwahl lohnt, eine Favela von 400 000 Menschen durch bescheidene soziale Zugeständnisse zur Stimmabgabe zu bewegen.
Bei der Fahrt über Land wird jedoch deutlich, daà in weiten Provinzen der krasse Unterschied zwischen Herrenhaus und Sklavenhütte, zwischen Casa Grande und Senzala, wie Gilberto Freyre schrieb, längst nicht überwunden ist. Die Madonna in einem armseligen Dorf ist als WeiÃe dargestellt.
Die ungeheure wirtschaftliche Kraft Brasiliens, die das Land in die sogenannte BRIC-Gruppe einreiht, spiegelt sich in der gewaltigen Metropole São Paulo mit dreizehn Millionen Einwohnern. Der unendliche Reichtum an Mineralien, an einer vielfältigen Landwirtschaft und Viehzucht und neuerdings auch an Erdöl, das die Gesellschaft Petrobras Offshore zu fördern gedenkt, verleiht Brasilien eine Krisenfestigkeit, die sich in der jüngsten weltweiten Rezession bewährte.
Der gewaltige Flächenstaat Brasilien mit 190 Millionen Menschen stützt sich auf ein einmaliges Experiment der Rassenvermischung. Trotz der grausamen Sklaverei, die erst 1884
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