Die Welt aus den Fugen
Eingeborener zu gelten. An den Verkaufsständen der steilen Gassen verweisen die Föten von geschlachteten Lamas auf den Fortbestand heidnischer Bräuche. Auch in La Paz sind inmitten der Elendsviertel und einer phantastisch anmutenden Gebirgslandschaft moderne Hochburgen aus dem Boden geschossen. Aber die wirklichen politischen Entscheidungen, so heiÃt es dort, werden auf dem Altiplano, auf jener kahlen Hochebene getroffen, die am Titicacasee die peruanische Grenze erreicht. Dort entscheidet die massive Stimmabgabe der Ureinwohner, der Indigenas, gelegentlich auch ihre gewalttätigen Volkserhebungen den Ausgang der Wahlen.
Die Bekehrung zum katholischen Glauben hat bei den Eingeborenen die ursprünglichen Götter der Inkazeit nicht verdrängt. Es findet ein kurioser religiöser Synkretismus statt, der sich mit furchterregender Anschaulichkeit auf den Fresken der bescheidenen Kirche von Carabuco spiegelt. Die Folterqualen der Hölle haben den Maler weit stärker inspiriert als die VerheiÃungen des Paradieses.
Der politische Widerstand gegen Evo Morales hat in den reichen landwirtschaftlichen Anbauflächen der im Tiefland gelegenen Provinz Santa Cruz de la Sierra seinen Schwerpunkt gefunden. Am Nationalfeiertag zieht eine unendliche Menschenmasse mit dröhnenden Blasorchestern an der Tribüne vorbei, wo der Führer der Opposition, Gouverneur Ruben Costas, die Parade abnimmt. Evo Morales ist diesem Spektakel ferngeblieben, um eventuellen Protesten zu entgehen. Neben der Nationalfahne Boliviens rot-gelb-grün hat die Eingeborenenbewegung eine eigene, buntgescheckte Flagge entworfen. Der bolivianische Staat firmiert neuerdings unter dem Namen plurinationale Republik.
Der Gouverneur Ruben Costas hat die separatistischen Tendenzen seiner Provinz aufgeben müssen, seit eine massive Zuwanderung von Indigenas aus dem Hochland die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung zugunsten der Indios veränderte. In der Nähe von Santa Cruz wurde übrigens im Jahr 1967 Che Guevara von seinen Häschern als Guerillero gefangengenommen und erschossen.
Im KongreÃzentrum von Santa Cruz haben sich die unterschiedlichen Schichten dieser buntgemischten Bevölkerung zum Schwur auf das bolivianische Vaterland versammelt. Hier tritt Evo Morales als Triumphator auf, aber nicht als blindwütiger Demagoge. Wer in die hartgeschnittenen Gesichter der Gardesoldaten blickt, deren Uniformen an die Armeen Napoleons III. erinnern, spürt, daà sich hier eine ethnische Machtverschiebung zuungunsten der weiÃen Minderheit, der früheren Oberschicht vollzogen hat, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Tief in der Nacht treffen sich die Ayamara-Indios unter Anleitung ihres Schamanen zum Fest ihrer alles beherrschenden heidnischen Göttin, der Pacha Mama, der Mutter Erde. Sie wird mit der Opferung von Lama-Föten besänftigt, und Menschenopfer sollen nicht ganz auszuschlieÃen sein. Diese Kultversammlung ist sich bewuÃt, daà Mutter Erde nur mit Blut besänftigt werden kann.
Das Erbe der Portugiesen
Kehren wir zurück in das Jahr 1500, die Epoche der groÃen Entdeckungen, als die wagemutigen Portugiesen auch die Meere des Fernen Ostens als erste ansteuerten. Ein Kaiser der Ming-Dynastie, der diese Fremden wohlwollend empfing, ahnte wohl nicht, daà sein riesiges Reich der Mitte vier Jahrhunderte später im Boxerkrieg zur Beute des westlichen Imperialismus würde. Etwa zehn Jahre nachdem Cabral von den Küsten Brasiliens im Namen Portugals Besitz ergriffen hatte, drangen die lusitanischen Seefahrer auf der anderen Seite des Erdballs bis nach China vor. Und erhielten dort die einmalige Erlaubnis des Kaisers von China, einen winzigen Hafen namens Macao zu errichten. Damit erhielten sie auch das Monopol des Handels mit Japan und China. Aber die katholische Kirche wollte Macao als Sprungbrett benutzen für die Christianisierung des Reiches der Mitte. An der Spitze dieser Bewegung stand der Jesuitenorden, insbesondere der Pater Matteo Ricci. Und die Jesuiten perfektionierten sich in der chinesischen Sprache, vertieften sich in die Lehren des Konfuzius und errangen die Würde hohen Mandarinats am Hofe von Peking. Ja die Societas Jesu kam zu dem SchluÃ, daà durchaus eine Vereinbarkeit bestand zwischen den Dogmen der katholischen Kirche und den chinesischen Bräuchen. An der Kurie von Rom war man wohl anderer Meinung und unter dem Einfluà der
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