Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
Vom Netzwerk:
Dominikaner und der Franziskaner entschloß sich am Ende dieses Ritenstreites der Papst Clement XI. zu einer Absage dieses heiligen Experiments. Die römische Kirche von heute, die so vielen Schwächungen ausgesetzt ist, würde auf einen solchen Kompromiß wahrscheinlich liebend gerne eingehen. Aber damals hat Rom eine große Chance der Bekehrung vermutlich versäumt.
    Im Jahr 1999 wurde Macao der Volksrepublik China einverleibt, behielt aber, wie die ehemals britische Kronkolonie Hongkong, einen Sonderstatus. Von der langen lusitanischen Präsenz sind nur wenige Gebäude erhalten, vor allem die Fassade der zerstörten San-Francisco-Kirche. Zu deren Füßen erhebt sich die Statue des Jesuitenpaters Matteo Ricci als Künder des Evangeliums, aber auch als hoher chinesischer Mandarin und genießt weiterhin die Hochachtung der Behörden.
    Das kommunistische Regime von Peking hat Wert darauf gelegt, daß der portugiesische Charakter dieser Konzession in sämtlichen Inschriften gewahrt bleibt, obwohl nur noch zwei Prozent der Bevölkerung die portugiesische Sprache beherrschen. Schon immer, auch unter der Oberhoheit Lissabons, galt Macao als die große Spielhölle Ostasiens. Das hat sich ins Gigantische gesteigert. Die relativ bescheidene Stadt wird beherrscht von den Kolossalbauten der Spielkasinos. Dieses Gewerbe, das in der eigentlichen Volksrepublik streng verboten ist, hat seit 1999 nicht nur die von Spielleidenschaft besessenen Chinesen angezogen, sondern auch zahllose amerikanische Zocker. Der exzentrischen Phantasie eines amerikanischen Milliardärs ist es zu verdanken, daß im Herzen von Macao eine kitschige, artifizielle Nachahmung Venedigs entstand. Mindestens ebenso grotesk wirkt die in britischen Gardeuniformen angetretene Hotelwache, die in Rumänien rekrutiert wurde.
    Von Macao aus hatten sich einst die untereinander rivalisierenden Orden bemüht, jenes geheimnisvolle riesige Reich der Mitte, von dem bisher nur die Berichte Marco Polos vorlagen und dessen Hofzeremoniell die Allmacht des Drachensohnes widerspiegelte, für den Glauben an die alleinseligmachende Kirche zu gewinnen. Am Ende hat sich jedoch in Macao ein krasser Materialismus und die Ausbeutung des Goldenen Kalbes durchgesetzt.
    Ein Moloch namens Chongqing
    Vollziehen wir einen großen Sprung in Raum und Zeit. Diese Bilder haben wir im Jahr 1980 in der zentralchinesischen Provinz Szetschuan, in der Millionenstadt Chongqing auf­genommen. Wir wohnten im kommunistischen China einem katholischen Gottesdienst bei. In Szetschuan, wo damals hundert Millionen Menschen lebten, hatten 300000 Bürger der Volksrepublik an ihrem katholischen Glauben festgehalten. Aber Mao Zedong hatte vom Klerus verlangt, daß er sich von Rom und vom Papst lossagte und eine Nationalkirche gründete. In den Gesichtern der Gläubigen spiegelte sich der gewaltige ideologische Druck des offiziellen Atheismus, der auf ihnen lastete. Der Priester zelebrierte die Messe noch auf lateinisch, weil die Nationalkirche die Neuerungen des II. Vatikanischen Konzils nicht übernommen hat. Heute, so heißt es, hätten sich die Beziehungen zwischen dem Vatikan und Peking leicht entspannt, aber schon damals flüsterte mir der Geistliche auf lateinisch zu: »Credo in unam catholicam et apostolicam ecclesiam.«
    Eine kleine verängstigte Schar war also übrig geblieben von dem großartigen Versuch der Societas Jesu, mit glühendem Eifer und geschmeidiger Kasuistik das gewaltige Imperium auf die Nachfolge Christi einzuschwören. Dreißig Jahre später, im Jahre 2010, ist die Kirche St. Joseph wie ein winziges Spielzeug eingeklemmt zwischen die kolossalen Turmbauten der neuen Architektur. Die Genehmigung zum Filmen der Sonntagsmesse wurde uns dieses Mal nicht erteilt.
    Es lohnt sich, die Bilder aus dem Jahr 1980 wieder herauszuholen, die das damalige Elend und die kriegerischen Verwüstungen der Stadt Chongqing illustrieren. Die japanische Armee, die bis 1945 einen großen Teil Chinas besetzt hatte, war nicht bis nach Szetchuan vorgedrungen. Die Schluchten des gewaltigen Yangtse-Flusses hatten jeden Vorstoß vereitelt, so daß der Führer des nationalen Chinas, Chiang Kai-shek, in Chongqing sein Hauptquartier errichtete. Die Waffenlieferungen durch die amerikanische Luftwaffe mußten damals ein winziges Rollfeld benutzen, das sich auf einer Sandbank im Yangtse befand. Zum Schutz vor den

Weitere Kostenlose Bücher