Die Welt aus den Fugen
Dominikaner und der Franziskaner entschloà sich am Ende dieses Ritenstreites der Papst Clement XI. zu einer Absage dieses heiligen Experiments. Die römische Kirche von heute, die so vielen Schwächungen ausgesetzt ist, würde auf einen solchen Kompromià wahrscheinlich liebend gerne eingehen. Aber damals hat Rom eine groÃe Chance der Bekehrung vermutlich versäumt.
Im Jahr 1999 wurde Macao der Volksrepublik China einverleibt, behielt aber, wie die ehemals britische Kronkolonie Hongkong, einen Sonderstatus. Von der langen lusitanischen Präsenz sind nur wenige Gebäude erhalten, vor allem die Fassade der zerstörten San-Francisco-Kirche. Zu deren FüÃen erhebt sich die Statue des Jesuitenpaters Matteo Ricci als Künder des Evangeliums, aber auch als hoher chinesischer Mandarin und genieÃt weiterhin die Hochachtung der Behörden.
Das kommunistische Regime von Peking hat Wert darauf gelegt, daà der portugiesische Charakter dieser Konzession in sämtlichen Inschriften gewahrt bleibt, obwohl nur noch zwei Prozent der Bevölkerung die portugiesische Sprache beherrschen. Schon immer, auch unter der Oberhoheit Lissabons, galt Macao als die groÃe Spielhölle Ostasiens. Das hat sich ins Gigantische gesteigert. Die relativ bescheidene Stadt wird beherrscht von den Kolossalbauten der Spielkasinos. Dieses Gewerbe, das in der eigentlichen Volksrepublik streng verboten ist, hat seit 1999 nicht nur die von Spielleidenschaft besessenen Chinesen angezogen, sondern auch zahllose amerikanische Zocker. Der exzentrischen Phantasie eines amerikanischen Milliardärs ist es zu verdanken, daà im Herzen von Macao eine kitschige, artifizielle Nachahmung Venedigs entstand. Mindestens ebenso grotesk wirkt die in britischen Gardeuniformen angetretene Hotelwache, die in Rumänien rekrutiert wurde.
Von Macao aus hatten sich einst die untereinander rivalisierenden Orden bemüht, jenes geheimnisvolle riesige Reich der Mitte, von dem bisher nur die Berichte Marco Polos vorlagen und dessen Hofzeremoniell die Allmacht des Drachensohnes widerspiegelte, für den Glauben an die alleinseligmachende Kirche zu gewinnen. Am Ende hat sich jedoch in Macao ein krasser Materialismus und die Ausbeutung des Goldenen Kalbes durchgesetzt.
Ein Moloch namens Chongqing
Vollziehen wir einen groÃen Sprung in Raum und Zeit. Diese Bilder haben wir im Jahr 1980 in der zentralchinesischen Provinz Szetschuan, in der Millionenstadt Chongqing aufÂgenommen. Wir wohnten im kommunistischen China einem katholischen Gottesdienst bei. In Szetschuan, wo damals hundert Millionen Menschen lebten, hatten 300000 Bürger der Volksrepublik an ihrem katholischen Glauben festgehalten. Aber Mao Zedong hatte vom Klerus verlangt, daà er sich von Rom und vom Papst lossagte und eine Nationalkirche gründete. In den Gesichtern der Gläubigen spiegelte sich der gewaltige ideologische Druck des offiziellen Atheismus, der auf ihnen lastete. Der Priester zelebrierte die Messe noch auf lateinisch, weil die Nationalkirche die Neuerungen des II. Vatikanischen Konzils nicht übernommen hat. Heute, so heiÃt es, hätten sich die Beziehungen zwischen dem Vatikan und Peking leicht entspannt, aber schon damals flüsterte mir der Geistliche auf lateinisch zu: »Credo in unam catholicam et apostolicam ecclesiam.«
Eine kleine verängstigte Schar war also übrig geblieben von dem groÃartigen Versuch der Societas Jesu, mit glühendem Eifer und geschmeidiger Kasuistik das gewaltige Imperium auf die Nachfolge Christi einzuschwören. DreiÃig Jahre später, im Jahre 2010, ist die Kirche St. Joseph wie ein winziges Spielzeug eingeklemmt zwischen die kolossalen Turmbauten der neuen Architektur. Die Genehmigung zum Filmen der Sonntagsmesse wurde uns dieses Mal nicht erteilt.
Es lohnt sich, die Bilder aus dem Jahr 1980 wieder herauszuholen, die das damalige Elend und die kriegerischen Verwüstungen der Stadt Chongqing illustrieren. Die japanische Armee, die bis 1945 einen groÃen Teil Chinas besetzt hatte, war nicht bis nach Szetchuan vorgedrungen. Die Schluchten des gewaltigen Yangtse-Flusses hatten jeden Vorstoà vereitelt, so daà der Führer des nationalen Chinas, Chiang Kai-shek, in Chongqing sein Hauptquartier errichtete. Die Waffenlieferungen durch die amerikanische Luftwaffe muÃten damals ein winziges Rollfeld benutzen, das sich auf einer Sandbank im Yangtse befand. Zum Schutz vor den
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