Die Welt der Drachen
unwillkürlich dagegen. Aber wenn R'gul die Jagd verbietet, gibt es keine andere Möglichkeit. Auch er leidet nicht gern Hunger.«
Lessa zwang sich mühsam zur Ruhe. Sie holte tief Atem.
»Wahrscheinlich schneidet er sich die Kehle durch, um den Magen zu isolieren«, fauchte sie.
Sie ignorierte Manoras entsetzten Blick und fuhr fort: »Die Tradition will es, dass Sie als Aufseherin der Unteren Höhlen Missstände dieser Art der Weyrherrin melden, nicht wahr?«
Manora nickte. Lessas rasch wechselnde Stimmungen brachten sie aus dem Gleichgewicht.
»Und ich, die Weyrherrin, spreche darüber mit dem Weyrführer, der vielleicht etwas unternimmt?«
Wieder nickte Manora.
»Nun«, fuhr Lessa im leichten Plauderton fort, »Sie haben sich traditionsgemäß Ihrer Pflicht entledigt. Nun komme ich an die Reihe, ja?«
Die Aufseherin beobachtete sie misstrauisch. Lessa lächelte ihr beruhigend zu.
»Sie können alles mir überlassen.«
Manora erhob sich langsam. Ohne die Blicke von Lessa zu wenden, sammelte sie ihre Aufzeichnungen ein.
»Es heißt, dass man auf Fort und Telgar ungewöhnlich gute Ernten hatte«, meinte sie zögernd. »Auch Keroon kann nicht klagen trotz der Küstenüberschwemmung.«
»Tatsächlich?« entgegnete Lessa höflich.
»Ja. Und die Herden in Keroon und Tillek haben sich stark vermehrt.«
»Das freut mich.«
Manora war immer noch misstrauisch. Sie machte ein Bündel aus ihren Listen. Dann sagte sie vorsichtig:
»Ist Ihnen aufgefallen, wie sehr K'net und sein Geschwader unter R'guls Einschränkungen leiden?«
»K'net?«
»Ja. Das gleiche gilt für den alten C'gan. Oh, sein Bein ist steif, und Tagaths Schuppen schimmern eher grau als blau, aber der Drache ist noch ein Nachkomme von Lidith. In ihrem letzten Gelege waren ein paar prachtvolle Tiere. C'gan erinnert sich an bessere Zeiten ...«
»Bevor sich alles veränderte?«
Lessas freundlicher Tonfall konnte Manora nicht täuschen.
»Sie wirken nicht nur als Weyrherrin anziehend auf die Drachenreiter, Lessa von Pern«, sagte Manora ernst. »Einige der braunen Reiter beispielsweise ...«
»F'nor?« fragte Lessa spitz.
Manora richtete sich stolz auf. »Er ist ein erwachsener Mann, Weyrherrin, und wir von den Unteren Höhlen haben es gelernt, den Bindungen des Blutes und der Zuneigung zu entsagen. Ich empfehle ihn nicht als den Sohn, den ich geboren habe, sondern als Drachenreiter. Ebenso gut könnte ich T'sum oder L'rad nennen.«
»Schlagen Sie diese Männer vor, weil sie zu F'lars Geschwader gehören und nach der alten Tradition aufgezogen werden? Weil sie meinen Überredungskünsten vielleicht nicht so rasch verfallen wie andere ...?«
»Ich schlage sie vor, weil sie daran glauben, dass der Weyr von den Burgen versorgt werden muss.«
»Also schön.«
Lessa lachte. Die Frau hatte sich keinen Augenblick aus der Ruhe bringen lassen.
»Ich werde mir Ihre Empfehlungen zu Herzen nehmen, da ich nicht die Absicht habe ...«
Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
»Danke, dass Sie mir das Vorratsproblem geschildert haben.
Frisches Fleisch brauchen wir also am dringendsten?« Sie erhob sich.
»Dazu Getreide und die Wurzelgemüse aus dem Süden«, erwiderte Manora formell.
Lessa nickte.
Die Aufseherin verließ den Raum. Ein nachdenklicher Ausdruck lag auf ihren Zügen.
Lessa warf sich in eine gepolsterte Felsnische und überlegte lange. Da war zuerst einmal das beunruhigende Wissen, dass Manora schon bei der Andeutung, sie könnte den Weyr verlassen, in Aufregung geriet. Ihre instinktive Angstreaktion war ein weit wirksameres Argument als R'guls leeres Geschwätz.
Aber Manora hatte mit keiner Silbe verraten, weshalb sie Angst hatte. Nun gut, Lessa würde also in nächster Zeit ihre Absicht aufgeben, einen Drachen zu fliegen. Dagegen beschloß sie, sich sofort um das Vorratsproblem zu kümmern.
Besonders, da R'gul bestimmt nichts unternahm.
K'net oder F'nor oder sonst jemand mussten ihr bei der Versorgung des Weyr helfen, und zwar so, dass R'gul nichts davon merkte. Was er nicht wusste, konnte er nicht verbieten.
Lessa hatte sich so an das regelmäßige Essen gewöhnt, dass sie es nicht mehr missen wollte. Sie war nicht habgierig, aber sie fand, dass die Burgherren von einer guten Ernte durchaus einen kleinen Teil »abgeben« konnten. Wahrscheinlich bemerkten sie den Verlust überhaupt nicht.
Lessa lächelte vor sich hin, doch dann wurde sie ernst.
»Der Tag, an dem der Weyr kaufen muss, was ihm von Rechts wegen zusteht ...«
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