Die Welt der Kelten
alterte wieder und wurde uralt.
Erneut gingen die Jahre über den Greis hinweg. Da wurde ihm eines Tages am Eingang seiner Höhle bewusst, dass er ein weiteres
Mal die Gestalt wechselte und zu einem Eber wurde. Diesmal zog er als junger starker Fürst aller Eberherden herum und durchlebte
alternd die Jahre. Nach langer Zeit kehrte er alt und grau zu seiner Höhle heim, um sich wiederum zu verwandeln. Lange vegetierte
er in seinem Versteck und erlebte abermals die Ankunft neuer Siedler. Da wurde aus ihm ein riesiger Seeadler, jung und stark.
In dieser Gestalt flog er über das Land und erlebte Werden und Vergehen der Geschlechter. Dann verwandelte er sich in einen
Lachs, den die Fischer eines Königs fingen. Er wurde geröstet und der Königin als Mahl serviert. Auf diese Weise gelangte
er in ihren Bauch, wo er als Kind heranwuchs und geboren wurde.
Damit endet die Geschichte des irischen Helden Túan mac Cairill nach viele Seelenwanderungen durch Tierkörper mit seiner Wiedergeburt
in menschlicher Gestalt. Jeden Gestaltwechsel erlebte und überstand er mit wachem Geist, der immer der Gleiche blieb. So oder
ähnlich haben sich möglicherweise auch die gallischen Druiden des Festlandes die Ereignisse der menschlichen Seelenwanderung
vorgestellt.
|170| Die Kelten und der Tod
Der Umgang der Kelten mit ihren Toten stellt einen der rätselhaftesten Aspekte ihrer Kultur dar.Die befremdlich wirkenden
Opferbräuche, wie sie sich in nordostfranzösischen Funden offenbarten, wurden an anderer Stelle ausführlich geschildert. Sie
wurden nur zeitweise betrieben und stellen darum lediglich ein einzelnes Phänomen dar.
Ansonsten zeichnete die keltische Bestattungsweise im Laufe der Jahrhunderte eine Vielfalt aus, die für den modernen Menschen
ungewöhnlich ist, für frühgeschichtliche Völker aber durchaus üblich war. Denn sie zeigten sich gegenüber äußeren Einflüssen
erstaunlich offen und übernahmen oft derenTotenbräuche.Wenn sie diese auch erst nach Generationen wechselten, ist man doch
versucht, von modischen Trends zu sprechen. Dabei neigte man je nach Zeit und Ort einmal mehr zur Bestattung des Körpers,ein
anderes Mal mehr zu dessen Verbrennung. Letztere war gegen Ende der Bronzezeit unmittelbar vor der Epoche der Kelten üblich
gewesen, weshalb man diese Zeit als Urnenfelderzeit bezeichnet.
Die Fürsten der späten Hallstattzeit und der sich anschließenden Jahrhunderte wurden hingegen unter hoch aufragenden Grabhügeln
in holzverkleideten Kammern |171| beigesetzt – wofür das Grab von Hochdorf das beste Beispiel gibt. Allem Anschein nach sollte sich darin der edleVerstorbene
so wohl fühlen wie in seiner schönsten irdischen Behausung, was die Fülle wertvoller Grabbeigaben verdeutlicht. Die Belegzahlen
derartiger Grabhügel schwankten zwischen Einzel- und Mehrfachbestattungen, wobei sich manchmal ein Paar die Grabkammer teilte.
Genauso schuf man in einem bestehenden Grabhügel zusätzlichen Raum für Verstorbene. Anstelle dieser berühmten künstlichen
Erdaufschüttungen kamen anschließend in der La Tène-Zeit die unscheinbareren Flachgräber auf.
Auf dieseWeise wechselten immer wieder die Bestattungsbräuche, die darüber hinaus je nach der gesellschaftlichen Schicht des
Toten unterschiedlich sein konnten. So pflegten die Keltiberer in Spanien die gewöhnlichen Toten zu verbrennen, während man
die Überreste der gefallenen Krieger für die Geier liegen ließ. Unter den Galliern war es gegen Ende ihrer Unabhängigkeit
wieder üblich geworden, die Toten zu verbrennen. Davon berichtet Caesar auch im
Gallischen Krieg
: »Die Begräbnisse sind imVerhältnis zur sonstigen gallischen Lebensweise sehr prächtig und aufwändig. Alles, was dem Toten
vermutlich lieb war, werfen sie auf den Scheiterhaufen, auch Tiere und bis vor kurzem noch Sklaven und Clienten, von denen
feststand, dass der Tote sie geliebt hatte. Nach den feierlichen Beerdigungsriten werden |172| sie zusammen mit dem Verstorbenen verbrannt.« Schon die antiken Zeitgenossen der Kelten taten sich mit deren Bestattungsbräuchen
schwer und unterstellten ihnen teilweise sogar Kannibalismus – was prinzipiell nicht zu verneinen ist, aber archäologisch
auch noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Menschenopfer, wie Caesar sie beschreibt, und Formen der Witwentötung
hat es wahrscheinlich gegeben – wie in anderen Kulturen auch. Für die meisten Missverständnisse sorgte ein
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