Die Welt der Kelten
zahlten auch nicht wie die Übrigen Steuern. Sie leisteten keinen Kriegsdienst und seien auf jedem Gebiet von der
Abgabepflicht ausgenommen. Diese großen Vergünstigungen veranlassten viele, sich aus freien Stücken in ihre Lehre einweihen
zu lassen, oder ihre Eltern und Verwandten schickten sie zu den Druiden, wo sie, wie es hieß, eine große Zahl von Versen auswendig
lernten. Daher blieben einige zwanzig Jahre lang im Unterricht. Sie hielten es für Frevel, die Verse aufzuschreiben, während
sie in fast allen übrigen Dingen im öffentlichen und privaten Bereich die griechische Schrift benutzten. Das hätten sie aus
zwei Gründen so geregelt: Einmal wollten sie nicht, dass ihre Lehre allgemein bekannt werde, zum andern wollten sie verhindern,
dass die Lernenden sich auf das Geschriebene verließen und ihr Gedächtnis weniger übten. Denn in der Regel geschehe es, dass
die meisten im Vertrauen auf Geschriebenes in der Genauigkeit beim Auswendiglernen und in ihrer Gedächtnisleistung nachließen.
|169| Aus diesen Worten spricht der pragmatische Römer Caesar, der als Hauptgrund für die Druidenlaufbahn die Freistellung von Kriegsdienst
und Abgaben sieht. Wer sich jedoch für die Priesterkaste entschied, der wählte den Weg einer langen und mühsamen Lehre, die
zu einem Amt voll Macht und Verantwortung führte. Außerdem ist fraglich, ob die Druiden wirklich derart »pazifistisch« auftraten;
Caesar selbst berichtet von Streitigkeiten im Karnutenhain, die auch mit Waffen ausgetragen wurden.
Nachvollziehbarer sind seine Vermutungen über die druidische Ablehnung der Schrift. Das nur von Mund zu Mund mitgeteilte Wissen
blieb tatsächlich den Eingeweihten vorbehalten – die Weitergabe an andere wurde wahrscheinlich streng bestraft. Dass Wissen
Macht ist, wussten ohne Zweifel auch die Druiden, die beides sorgsam hüteten. Darum verließen sie mit ihren Schülern die Stammesgemeinschaft
und zogen sich in die Wildnis von Höhlen und entlegenen Wäldern zurück. Für weiter gehende Studien ging mancher sogar nach
Britannien, woher nach Caesars Angaben die Druidenlehre angeblich stammte. Dass außerdem die fehlende Möglichkeit schriftlicher
Notizen die Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses stärkt, ist eine noch heute geltende Weisheit.
Aber die Ursachen für das regelrechte Schriftverbot der Druiden scheinen noch tiefer gelegen zu haben und zu den Quellen keltischer
Religion und Kultur zu führen. Caesars Informationen und archäologische Funde machen deutlich, über welche Schriftkenntnisse
zumindest die Gallier verfügten. So entdeckte man an der unteren Rhône Fundstücke aus dem 3. Jahrhundert vor Chr., auf die
man offensichtlich gallische Wörter mit griechischen Buchstaben geschrieben hatte. Und über 100 Jahre später versahen auch
nördlichere Kelten ihre Münzen mit den verschriftlichten Namen von Häuptlingen und Stämmen, die man beispielsweise in Alesia
und Bibracte fand. Dort schrieben die Kaufleute und Stammesbeamten Verträge, Rechnungen und Einwohnerlisten in den Schriften
der Mittelmeerkulturen nieder, die man teilweise schon seit dem 6. Jahrhundert vor Chr. kannte – etwa aus dem griechischen
Massalia. Demnach hatten die Kelten ein halbes Jahrtausend intensive Kontakte mit Schriftkulturen, ohne dass sie deren Alphabete
in allen Lebensbereichen übernahmen oder ein eigenes Schriftsystem erfanden. Diese Tatsache verwundert umso mehr, wenn man
sich die gleichzeitigen Entwicklungen und Schöpfungen in der Metallverarbeitung, im Kunsthandwerk oder beim Aufkommen der
stadtähnlichen Oppida vor Augen führt. Dagegen genügten den weitaus weniger entwickelten Germanen einige Jahrzehnte, um nach
dem Vorbild italischer Alphabete die Runenschrift zu erfinden.
Die Kelten verzichteten augenscheinlich von Anfang an auf die Verwendung einer Schrift für religiöse und poetische Bereiche,
bis schließlich die Druiden strenge Hüter dieses Verbots wurden. Über dessen Begründung |170| kann nur gemutmaßt werden: Möglicherweise hatte man durchaus ein System von Zeichen in Gebrauch, das seinen bis heute faszinierenden
und rätselhaften Ausdruck in der La Tène-Kunst fand. Sie verwendet bevorzugt irreal anmutende Motive von Pflanzen-, Menschen-,
Tier- und Dämonendarstellungen, deren Übergänge fließend sind und sich auf die reiche mythische Glaubenswelt beziehen, von
der keine schriftlichen Nachrichten überliefert wurden. Nach dem keltischen Glauben
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