Die Welt der Kelten
sich keine konkreten Wiedergaben historischer Ereignisse
– soweit man davon noch etwas wissen kann. Dennoch führen die Sagen von den Dämonen und Göttern, von der Anderwelt sowie von
den Königen und Helden in eine ferne Vergangenheit zurück, deren Spuren sich hinter den fantastischen Erzählungen verbergen.
So enthalten die Einwanderungsmythen anscheinend Erinnerungen an reale geschichtliche Migrationen, deren letzte tatsächlich
greifbar ist. Denn mit ihr setzten sich die Kelten respektive ihre kulturellen Einflüsse endgültig in Irland durch. Damit
verbreitete sich bekanntermaßen das Eisen als Waffen- und Gebrauchsmetall. Hinsichtlich dessen mag es mehr als ein Zufall
sein, dass die im Mythos in die Unterwelt vertriebenen Tuatha Dé Danann Eisen verabscheuen!
Unter den Namen vieler Sagengestalten geben sich zudem alte keltische Gottheiten zu erkennen, wofür an dieser Stelle die Connacht-Königin
Medh ein Beispiel bieten soll: Sie hält man für eine Nachfahrin der Muttergottheiten, die in der Matronenverehrung des römischen
Rheinlandes einen Niederschlag fanden. Das häufige Auftreten bestimmter Tiere wie Eber, Hirsch oder Stier erinnert zudem offensichtlich
an deren traditionelle Verehrung, die viele Darstellungen auf archäologischen Funden belegen. Dass darüber hinaus die irischen
Heldengestalten in der Tradition keltischer Kriegerideale stehen, wurde schon an mehreren Stellen verdeutlicht.
Folglich greifen die gelehrten mittelalterlichen Erzählungen der Inselkelten bei aller fantasiereichen Ausgestaltung ihrer
eigenen Zeit auf alte Mythen zurück, deren Figuren und Motive sie auf diese Weise dem keltischen Erbe erhalten.
|208| Elfen, Kobolde und Zaubernebel: Sagen und Märchen der keltischen Völker
Allerdings schrieben nicht nur gelehrte Geistliche und berufsmäßige Dichter die zahlreichen Sagenerzählungen nieder. Diese
erfreuten sich genauso wie die Geschichten um König Arthur unter den Inselkelten großer Beliebtheit und wurden schließlich
sogar Bestandteile in deren mündlich erzählten Sagen und Märchen. Deshalb lauschten die Menschen auf der grünen Insel ebenso
wie auf den mit ihr verwandten Hebriden und in den schottischen Highlands nur zu gern ihren Geschichtenerzählern, die ein
wenig Freude und Abwechslung in das ansonsten karge Leben der Fischer und Bauern brachten. Besondere Spannung herrschte in
den Hütten und Häusern, wenn eine Geschichte anhob von den Abenteuern des Finn mac Cumaill, eines alten irischen Kämpfers.
Er war der Anführer einer verschworenen Kriegerschar, die in Friedenszeiten der Jagd nachging und im Kriegsfall für ihren
König kämpfte. Finn galt gemeinsam mit seinem Sohn Oisín und dem Enkel Oscar als der populärste Held der Schotten und Iren,
der zahlreiche Kämpfe gegen menschliche Feinde, Riesen und Ungeheuer zu bestehen hatte.
Neben den Heldengeschichten gehörten vor allem die Märchen über das Volk der Anderwelt zu dem Erzählgut, das als typisch keltisch
angesehen wurde. Das schottische Märchen über den Mann vom Elfenhügel greift dabei das alte Thema auf, wie gefährlich der
Besuch in einem Síd sein kann: Als ein Mann aus einem grünen Hügel die herrlichste Musik erklingen hörte, konnte er der Versuchung
nicht widerstehen und ging ihr nach. Er entdeckte einen großen Stein, wälzte ihn weg und vor ihm lag eine prächtige Treppe,
die er hinabstieg, bis er in eine große Halle kam. Dort herrschte ein buntes Treiben mit vielen Leuten, und von dort kam auch
die Musik. Man spielte auf Flöten, Fiedeln, vielerlei Harfen und überhaupt auf allen Instrumenten, die es je auf Erden gegeben
hatte. Der Besucher erblickte einen kleinen alten Mann mit einem langen wallenden Bart, der ihn einlud, Platz zu nehmen. Unverzüglich
wurden ihm die besten Speisen serviert.
Nach einer Weile gab man ihm zu verstehen, es sei nun an der Zeit, sich wieder auf den Heimweg zu machen. Am Ende der Treppe
solle er den Stein an seinen alten Platz setzen. Der Mann tat so und ging nach Hause. Aber dort gab es nichts mehr als verfallene
Mauern und wüstes Land mit Unkraut. Daran erkannte er, dass er in einen Elfenhügel geraten war und dass mittlerweile in der
Menschenwelt eine lange Zeit verstrichen war. Er unterhielt sich mit einem alten Mann und erzählte ihm, erst gestern Abend
sei er in einen Elfenhügel geraten und nun erkenne er nichts mehr wieder. Der Alte antwortete: »So seid Ihr wohl der Mann,
von dem
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