Die Welt der Kelten
mein Großvater |209| immer erzählt hat, er wäre zum Strand hinuntergegangen und nie wieder gesehen worden.« Da fühlte der Mann sein Lebenskräfte
schwinden und bat um einen Priester. Als der ihm die letzte Ölung gegeben hatte, fiel er tot zu Boden.
Die so genannten kleinen Leute der Elfenhügel wurden auch außerhalb der Märchen durchaus ernst genommen und traten in vielerlei
Gestalt auf. Dabei war jedoch wenig von den stolzen Gestalten der Tuatha Dé Danann übrig geblieben. Zwar zierte die Elfen
noch langes blondes Haar, trugen sie grüne Kleider und konnten plötzlich verschwinden und erscheinen – jedoch waren sie gewissermaßen
geschrumpft und zu winzigen Geistern geworden. Trotzdem galt der Umgang mit ihnen als problematisch, weil sie zum einen den
Menschen wohl gesonnen waren und ihnen allerlei Hilfe zuteil werden ließen – etwa bei Krankheiten. Zum anderen konnten sie
ebenso schweren Schaden zufügen, indem sie etwa ein Menschenkind durch einen Wechselbalg austauschten, der sich zunehmend
als hässliches und bösartiges Wesen entpuppte.
Im Gefolge der Elfen fand sich eine Vielzahl böser und freundlicher Geister, wie etwa der zu den Letzteren zählende schottische
Brownie. Dieser kleine pelzige Hausgeist verrichtete Hofarbeiten wie das mühsame Korndreschen und braute sogar Bier. Dafür
wollte er aber auch belohnt werden, was er in Form von Käse und Milch gern annahm. Überhaupt gehörte es sich während der Ernte,
die letzten Früchte als »Früchte für die Elfen« zurückzulassen. Die bösen Geister umfassten übel gesinnte Kobolde, Hexen,
die sich in Gestalt riesiger Katzen zeigten, und Verhängnisvolles verheißende weiße Frauen. Sie alle benutzten mit den Geistern
der Verstorbenen die Halloween-Nacht vor Allerheiligen, um in der Menschenwelt Angst und Schrecken zu verbreiten. Aber über
die Heimat der guten wie der bösen überirdischen Erscheinungen senkte sich häufig ein märchenhafter Zaubernebel, der den Zugang
zum Land der Wunder ermöglichte und zu einem wichtigen Attribut der keltischen Fantasiewelten wurde.
In welcherlei Erscheinungsformen man sich die Wesen der Anderwelt dachte, zeigt unter anderem das walisische Märchen vom Zusammentreffen
Einions mit der Frau vom Grünen Wald: Einion streifte eines Tages durch die Wälder, als er auf einmal einer schönen Frau begegnete.
Deren Haut übertraf an Schönheit das Weiß des Schnees auf den hohen Bergen und das Rot der Morgendämmerung. Wie er sie so
sah, überfiel ihn große Liebe. Sie erwiderte seinen Gruß sehr freundlich und beide sprachen höflich miteinander. In seiner
Verliebtheit nahm er nicht wahr, dass sie statt Füßen Hufe hatte. Denn die Dame vom Grünen Wald war in Wahrheit ein Goblin,
eine Art Kobold, und hatte Einion verzaubert: Er musste ihr von nun an überall hin folgen, und sie begleitete ihn unter die
Menschen, ohne dass sie von anderen gesehen wurde.
|210| Nachdem er lange unter dem Zauberbann gestanden hatte, traf er eines Tages einen Mann in einem weißen Gewand, der auf einem
schneeweißen Pferd ritt. Mit einem Stab half er Einion, die Sinnestäuschung des Goblin zu durchschauen. Als dieser die wahre
Gestalt der Dame vom Grünen Wald erkannte, schrie er vor Schreck auf. In Wirklichkeit war sie ein abstoßendes Wesen, widerlicher
als die schrecklichsten Dinge der Welt. Allerdings konnte das Ungetüm jegliche Gestalt annehmen. So trat es als mächtiger
Edelmann bei Einions verlassener Frau auf und machte sie glauben, dass ihr Mann schon lange tot sei. Dann bewirkte es einen
Liebeszauber und bereitete die Hochzeit vor. Erst Einion konnte die Verzauberung seiner Frau mithilfe des magisches Stabes
brechen, den ihm der Mann in Weiß überlassen hatte. Außerdem war er der Einzige, der die herrliche Harfe, die seine Halle
zierte, zu stimmen vermochte. So wurde aus der Hochzeitsfeier ein großes Fest über die Befreiung vom Bann des Goblin.
Die irischen Elfen und die Brüder Grimm
Die Elfen und die bunte Schar inselkeltischer Geister und Helden waren schon länger auf dem Kontinent bekannt und populär
– worauf das folgende Kapitel eingeht –, als die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, Märchensammler und Gründungsväter der germanistischen
Wissenschaft, 1825 das Buch
Irische Elfenmärchen
veröffentlichten. Sie hatten ihrerseits die
Fairy Legends
des irischen Gelehrten Thomas C. Crocker kennen gelernt und waren von der Fantasie des irischen
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