Die Welt der Kelten
Barbaren, deren Klischees
auf alle fremden Völker jenseits der Alpen angewandt wurden. Für die Römer stellten die Kelten das Trauma ihrer frühen Geschichte
dar. Denn diesen gelang es, die aufstrebende Macht Mittelitaliens in unvergesslicher Weise zu demütigen.
Kelten an Po und Adria
Die Alpen stellten zu keiner Zeit einen undurchlässigen Grenzwall der Natur dar. Schon seit langem benutzten keltische Gruppen
die Gebirgspässe, um sich auf friedlichem Weg im Süden Land zu suchen. Sie fanden es bereits zu Zeiten des Fürsten von Hochdorf
im Gebiet des Lago Maggiore und des Comer Sees. Über Generationen lebten sie in guter Nachbarschaft mit anderen Völkern wie
den Etruskern und Ligurern. Sie machten gute Geschäfte als Zwischenhändler und Vermittler zwischen den Kelten jenseits der
Pässe und ihren italienischen Nachbarn.
Was dann um 400 vor Chr. geschah, schilderte 250 Jahre später der griechische Historiker Polybios als Resultat barbarischen
Neids: Die Kelten lockte das fruchtbare Land der ihnen gut bekannten etruskischen Nachbarn. Denn sie selbst lebten unter bescheidenen
Verhältnissen. »Sie wohnten |49| in unbefestigten Dörfern ohne weitere Annehmlichkeiten der Zivilisation. Da sie auf Stroh lagerten und viel Fleisch aßen,
ferner nichts anderes als Kriegswesen und Landwirtschaft betrieben, führten sie ein einfaches Leben, und sie verfügten über
keinerlei andere Kenntnisse und Fertigkeiten. Die Habe bestand allgemein aus Vieh und Gold, weil sie nur solches beim Umherziehen
leicht transportieren und dorthin bringen konnten, wo sie es haben wollten. Für Gefolgschaften legten sie größten Eifer an
den Tag, weil bei ihnen derjenige am meisten gefürchtet und mächtig war, welcher die meisten Dienstmannen und Gefolgsleute
um sich hatte.« Mit einer ungewöhnlich großen Zahl dieser Kriegerscharen hätten sie völlig überraschend die Etrusker angegriffen
und aus der Po-Ebene vertrieben. Anschließend gaben sie sich keineswegs damit zufrieden, sondern bedrohten und unterwarfen
etliche ihrer Nachbarn, »nachdem sie diese durch ihre Tollkühnheit in Schrecken versetzt hatten«.
Furcht und Schrecken erregten die Barbaren mit ihrer für die Heere der italienischen Völker ungewöhnlichen Kriegsführung:
Laut antiker Beschreibungen trugen die keltischen Angreifer keine Panzer, Helme und Beinschienen, sondern kämpften mit ungeschütztem
Kopf und überwiegend entblößtem Körper. Als Schutz dienten ihnen lediglich Schilde, zum Angriff benutzten sie Lanzen und lange
Schwerter. Aber damit allein konnten sie die Etrusker, Römer und viele andere nicht besiegen. Auch ihr Auftreten unterschied
sich völlig von dem der Feinde. Da es ungewohnt war, schockierte und irritierte es die Heere Italiens. Der römische Politiker
Camillus versuchte in einer Rede, seinen Landsleuten die Angst vor den Kelten zu nehmen, indem er ihr Verhalten als barbarisch
und lächerlich abtat: »Was können uns schon ihre langen Haare, ihre wild blickenden Augen und ihr grimmiger Gesichtsausdruck
antun? Und ihre ungezügelten Tänze, das zwecklose Herumfuchteln mit den Waffen, das wiederholte Schlagen auf die Schilde und
alle anderen Äußerungen barbarischer und unvernünftiger Prahlerei durch Geste und Stimme, mit denen sie ihre Gegner einzuschüchtern
versuchen, welchen Vorteil kann all dies Leuten bringen, die sich unbesonnen in den Kampf stürzen, und wie kann das Soldaten
in Schreck versetzen, die der Gefahr mit kühler Überlegung trotzen?« Doch gerade dieser keltische Furor, diese todesverachtende
Kampfwut, schreckte die Soldaten. Jahrhunderte sollten noch vergehen, bis die römischen Legionen ihre organisierte Kampfführung
so weit entwickelt hatten, dass sie auf wild heranstürmende Krieger mit deren Vernichtung reagierten.
In den Jahren nach 400 vor Chr. schlugen dagegen die Barbaren viele siegreiche Schlachten und eroberten sich große Teile der
italienischen Halbinsel. Insbesondere wurden die Po-Ebene und die nördliche Adriaküste zu keltischem Land. Dort fanden unter
anderem die Insubrer um Mailand |50| und die Kenomanen um Brescia und Verona neue Wohnsitze, während die Boier um Bologna und die Senonen an der Adria um Rimini
siedelten. Aber diese Stämme gaben sich damit nicht zufrieden und unternahmen Züge ins Landesinnere. Die Etrusker konnten
ihnen nur wenig Widerstand entgegensetzen.
Die Kelten erobern Rom
Über kurz oder lang mussten die Kelten auf
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