Die Welt der Kelten
die verschlossenen; denn sie blickten nicht anders
als voll Ehrfurcht auf die Männer, die in den Vorhallen ihrer Häuser saßen und die außer durch ihre Kleidung und ihre Erscheinung,
die übermenschliche Würde ausstrahlte, auch durch die Hoheit, die aus ihren Mienen und dem Ernst ihres Antlitzes sprach, Göttern
glichen. Als sie nun vor ihnen wie vor Götterbildern standen, soll Marcus Papirius, einer von ihnen, einem Gallier, der seinen
langen Bart, wie ihn damals alle trugen, streichelte, mit seinem Elfenbeinstab auf den Kopf geschlagen und dadurch dessen
Zorn erregt haben. Mit ihm nahm das Blutbad seinen Anfang, die Übrigen wurden auf ihren Stühlen erschlagen. Nach der Ermordung
der führenden Männer wurde dann kein Mensch mehr geschont, die Häuser wurden geplündert und, nachdem alles herausgeholt war,
in Brand gesetzt.«
Nachdem die Gallier die Stadt mehrere Tage geplündert hatten, griffen sie die Burg und das Kapitol an: »Beim ersten Tageslicht
erscholl das Signal, und die ganze Menge stellte sich auf dem Forum auf. Dann erhoben sie ihr Kampfgeschrei, bildeten ein
Schilddach und gingen vor. Ihnen gegenüber zeigten sich die Römer weder leichtfertig noch ängstlich. Sie verstärkten die Posten
an allen Zugängen; wo sie den Feind anrücken sahen, stellten sie ihm die besten ihrer Männer entgegen und ließen ihn heraufkommen,
weil sie glaubten, je weiter der Feind auf dem steilen Hang komme, desto leichter könne er den Abhang hinuntergeworfen werden.
Etwa auf halber Höhe leisteten sie Widerstand, griffen hier von erhöhter Position aus an, die sie fast von selbst gegen den
Feind trieb, und schlugen die Gallier mit schweren Verlusten, sodass nie mehr ein Teil oder sie alle eine solche Art des Kampfes
versuchten.«
Schließlich entdeckten sie einen Felsen, über den sie die Römer auf der Burg überraschen konnten. Niemand hätte diese Schar
in der Nacht bemerkt, hätten nicht die der Göttin Juno heiligen Gänse ihr Geschnatter ertönen lassen. So konnte auch dieser
Überraschungsangriff zurückgeschlagen |54| werden. Die Gallier stellten sich auf eine längere Belagerung ein. Die Knappheit der Lebensmittel zwang jedoch Belagerte wie
Belagerer zu einem Waffenstillstand, dem alsbald Verhandlungen folgten. Da sich die erhoffte Hilfe weit und breit nicht zeigte,
erklärten sich die Römer zur Zahlung eines Lösegeldes bereit.
Die abschließenden Verhandlungen führten der Militärtribun Quintus Sulpicius und Brennus. Man einigte sich auf ein Lösegeld
von 1 000 Pfund Gold. Voll Zorn fährt der Berichterstatter Livius fort: »Zu der an sich schon höchst schimpflichen Sache kam
noch eine besondere Schmach hinzu: Die Gallier brachten falsche Gewichte heran, und als der Tribun sie zurückwies, legte der
unverschämte Gallier noch sein Schwert zu den Gewichten, und man musste das für die Römer unerträgliche Wort hören: ›Wehe
den Besiegten!‹« Dieses sprichwörtlich gewordene lateinische
Vae victis
gemahnte Rom neben dem Jahrestag der Allia-Schlacht stets an die Todfeindschaft mit den Galliern. Daran änderte auch die Tatsache
nichts, dass ein anrückendes Entsatzheer die Barbaren besiegen und vertreiben konnte.
Die Kelten in Italien
Aber aus Italien konnte auch Rom die Masse der keltischen Einwanderer nicht mehr vertreiben. Sie haben im Norden der Apenninenhalbinsel
bis heute ihre Spuren hinterlassen. Zu diesen zählen nicht nur eine Fülle archäologischer Fundstücke, sondern auch Ortsnamen,
die auf gallische Gründungen zurückzuführen sind, etwa Mailand, Brescia, Lodi, Verona, Como, Bergamo und Trient. Bologna erinnert
mit seinem ursprünglichen Namen Bononia an den Stamm der Boier, der später nach Niederlagen gegen die Römer abwanderte und
seiner neuen Heimat in Böhmen ebenfalls den Namen gab. Die Adriastadt Senigallia überliefert den Stammesnamen der Senonen,
die 387 vor Chr. Rom geplündert haben sollen.
Die Stadt am Tiber benötigte mehr als zwei Jahrhunderte, bis sie die gallischen Nachbarn unter ihre Kontrolle gebracht hatte.
Deren Kriegerscharen stellten immer wieder eine große Gefahr dar. Wenn sie nicht bei verschiedenen Auftraggebern wie den griechischen
Tyrannen von Sizilien als Söldner dienten, schlossen sie sich Roms Feinden als Verbündete an. Dies geschah beim legendären
Einfall des Karthagers Hannibal, der mit seinen Kriegselefanten die Alpen überquerte und den Römern 216 vor Chr. bei Cannae
die
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