Die Welt der Kelten
identifiziert wurde. Die gallo-römische Götterwelt bot eine Fülle derartiger Verschmelzungen, die sehr oft an bestimmten
Plätzen in der Natur angesiedelt |119| und dementsprechend verehrt wurden. Dies kam besonders in der Vorstellung von Quellgottheiten zum Ausdruck, die man sich in
weiblicher Gestalt dachte. Eine ihrer berühmtesten Vertreterinnen war Sequana, die Seine-Göttin, an deren Quelle in der Nähe
Dijons ein bedeutendes Heiligtum errichtet wurde.
Weibliche Mutter- und Fruchtbarkeitsgottheiten genossen eine herausragende Verehrung. Das galt besonders für die so genannten
Matronen (»Mütter«), denen man im östlichen Gallien und in der Provinz Niedergermanien viele Weihesteine und Altäre widmete.
Ihr Kult war unter romanisierten Germanen und Galliern stark verbreitet und stellte eine Vermischung römischer mit keltischen
und germanischen Traditionen dar. Viele ihrer Weihesteine zierten lateinische Inschriften und Darstellungen der Matronen.
Zumeist stellte man sie sich als drei sitzende Frauen vor, die zum Teil die Kopfhauben der Ehefrauen, zum Teil das offene
Haar der Unverheirateten trugen. Auf ihrem Schoß hielten sie reich beladene Fruchtkörbe, dazu kamen als Umrahmung weitere
Opferschalen mit Obst, Opfer von Schweinen und Fischen, Weihrauch sowie Pflanzen und Bäume. In den Jahrzehnten um 200 nach
Chr. erfreuten sich diese Muttergottheiten größter Beliebtheit und Verehrung. In vielen kultischen Zentren und Tempelbauten
opferten ihnen Frauen und ganze Familien, die sie um Fruchtbarkeit auf den Feldern, beim Vieh und bei den Menschen baten.
Sie galten als Beschützerinnen der Familie und wurden auch bei Geburten um Hilfe angerufen.
Die kleine Bronzestatuette aus Trier stellt einen treverischen Bauern der gallo-römischen Zeit dar. Typisch keltisch ist der
kurze Kapuzenumhang des Landmannes.
Wer über die gut ausgebauten Römerstraßen durch Ostgallien reiste, nahm demnach eine Fülle von Zeugnissen der gallo-römischen
Religion wahr. Er sah auf den Höhen und im Tal die Umgangstempel, die mit anderen religiösen und profanen Gebäuden sogar große
Bezirke bilden konnten. Er kam an Matronenheiligtümern vorüber und konnte an einer Quelle ein kleines Opfer darbringen, bevor
er unter schattigen Baumkronen ein ehrwürdiges Weihedenkmal betrachtete. An manchem Straßenrand erhob sich ein mächtiges Monument,
das man als Jupitergigantensäule bezeichnet hat. Hoch oben zeigte sie den höchsten römischen Gott, wie er gepanzert und zu
Pferd einen Giganten, einen Riesen, niederreitet. Diese Art der Jupiterdarstellung kannte man in Rom nicht; auch sie war typisch
für ostgallische und niedergermanische Reichsgebiete. Die Gallier setzten ihn mit ihrem alten Himmels- und Donnergott Taranis
gleich, dessen Radsymbol er manchmal hält. Auf den Säulen waren zudem neben einem Schuppenmuster stilisierte Eichenblätter
zu erkennen – ein deutlicher Hinweis auf den vorrömischen Kult dieses den Kelten heiligen Baumes.
|120| Zur gallo-römischen Glaubenswelt gehörten nicht nur die mehr oder weniger lichten Gottheiten der Wälder, Berge und Quellen.
Sie äußerte sich auch in dunklen Vorstellungen des Aberglaubens, der Magie und Hexerei. Nur wenige Zeugnisse blieben davon
bewahrt, und römische zeitgenössische Schriftsteller erhielten nur selten Nachrichten über diese geheimnisumwitterten Vorgänge.
Unter anderem wirft eine Bleitafel ein schwer zu deutendes Licht darauf, die um das Jahr 100 nach Chr. auf einer Graburne
befestigt worden war. Auf die Platte aus dem südfranzösischen Larzac hat man mit lateinischen Buchstaben über 160 Wörter in
gallischer Sprache geritzt. Leider ist dieser recht lange Text nur schwer verständlich. Offensichtlich ging es darin um den
»Zauber von Frauen«, die ihr magisches Wissen zum Schaden anderer Frauen ausübten. Die so genannte Fluchtafel bietet dafür
einen Gegenzauber. Anscheinend bezieht sich der Text auf eine Auseinandersetzung zwischen zwei sich bekämpfenden gallischen
Hexengruppen. Damit bezeugt er die Vielfalt der gallisch-römischen Kulturmischung und den weit reichenden Einfluss keltischer
Überlieferungen.
Dies alles belegt, dass auch unter der Herrschaft Roms zahlreiche keltische Elemente weiter existierten und sich mit der fremden
Kultur vermischten. Letztlich bewirkte erst das Christentum, dass römisches wie gallo-römisches Heidentum ein Ende nahmen.
Mit ihm enden die letzten
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