Die Welt der Kelten
ihre eigenen Formen. Diese fanden ihren deutlichsten
Ausdruck im so genannten Umgangstempel, den man in Italien nicht kannte. Darunter war ein hoher, meist quadratischer Mittelraum
zu verstehen, dessen Außenwände von einem gedeckten Gang umgeben waren. Mehrere Säulen trugen das Dach dieses Umgangs, der
den Gläubigen Schutz gewährte. |115| Diese Gebäudeart gehörte mit vielen anderen Zeugnissen zum religiösen Leben, in dem die gallo-römische Eigenart ihre herausragendste
Ausprägung fand.
|114| Die Götterwelt der Kelten
Caesar weist in seinen Schriften ausdrücklich darauf hin, dass alle gallischen Stämme sehr religiös seien und zahlreiche Gottheiten
verehrten. Deren höchste benennt er nach der zu seiner Zeit üblichen Interpretatio Romana mit den Namen und Eigenschaften
seiner römischen Götter : »Unter den Göttern verehren sie Merkur am meisten.Von ihm besitzen sie besonders viele Götterbilder,
ihn halten sie für den Erfinder aller Künste, für den Führer auf allen Straßen und Wegen, und von ihm glauben sie, er habe
den größten Einfluss auf den Erwerb von Geld und auf den Handel. Auf Merkur folgen Apollo, Mars, Jupiter und Minerva. Der
Glaube an diese Götter hat etwa denselben Inhalt wie bei den übrigen Völkern: Apollo vertreibt Krankheiten, Minerva lehrt
die Anfangsgründe des Handwerks und der Künste, Jupiter hat die Herrschaft über die Himmelsbewohner, und Mars lenkt die Kriege.«
Die Götterwelt der Kelten war zweifelsohne vielgestaltig und ähnelte den religiösen Vorstellungen anderer indoeuropäischer
Völker wie der Griechen, Römer oder Germanen. Über die Namen und Bedeutungen dieser Gottheiten kann man allerdings für viele
Jahrhunderte nur Mutmaßungen anstellen, weil sie erst in den Schriften der antiken Autoren und in gallo-römischen Inschriften
genannt werden. Jedenfalls stellte man in der schriftlosen La Tène-Zeit göttliche Wesen häufig sitzend mit untergeschlagenen
Beinen dar, in der so genannten Buddha-Haltung.Wie viele dieser und anderer Götter und Göttinnen angebetet wurden, ist ungewiss
– die späteren Inschriften nennen mehr als 400 Namen. Die meisten davon verehrte |115| man lediglich an bestimmten heiligen Orten, in begrenzten Gegenden und unter einzelnen Stämmen.
Insofern erwies sich die zeitweise europaweite Götterwelt der Kelten als ebenso uneinheitlich wie ihre zahlreichen Stämme.Weiterhin
wirken die Eigenschaften undAufgaben einzelner Gottheiten selten streng voneinander getrennt, sodass der Eindruck des Fließenden
und Unbestimmten entsteht. Anscheinend unternahm man erst in der Römerzeit gewisse Ordnungsversuche, wodurch sich einige Namen
herauskristallisierten.
Dazu gehörte Teutates, der die Züge eines Stammvaters mit denen des Kriegsgottes Mars und des Handelsgottes Merkur vereinte.
Esus wurde als bärtiger Mann dargestellt, der einen Baum fällt.Taranis galt als Gott des Donners und entsprach darum Jupiter,
dem obersten römischen Himmelsherrscher.Neben diesen drei gallischen Hauptgöttern, die der römische Dichter Lucan im 1. Jahrhundert
nach Chr. anführt, gehörten zu den weiter verbreiteten Gottheiten: Belenus, der mit dem Heilgott Apollo gleichgesetzt wurde;
der ein Hirschgeweih tragende Cernunnos, dessen Gestalt vermutlich auf sehr alte Vorstellungen zurückzuführen ist; der Handwerkergott
Lugus, dessen Spuren sich in Ortsnamen wie Lugdunum (Lyon) erhalten haben, und Ogmios, der ein Gott der Unterwelt war, dem
aber auch die Kraft der Rede zugeschrieben wurde.
Wie rätselhaft dieser Letztere wirkte, belegt der Bericht eines griechischen Geschichtsschreibers. Nach seinen Worten stellten
sich die Gallier den Helden Herakles, der unter ihnen Ogmios heiße, höchst seltsam vor. Obwohl er die heroischen Attribute
eines Löwenfells, des Bogens und Köchers sowie der Keule |116| trage, sei er ein uralter, glatzköpfiger Mann mit faltiger und verbrannter Haut, der den Gewährsmann an Charon, den Fährmann
der griechischen Unterwelt, erinnerte. Der gallische Gott zog viele Menschen hinter sich her, deren Ohren mit Ketten aus Gold
und Bernstein an seiner Zunge befestigt waren und die ihm offensichtlich voller Freude folgten. Gemäß den Erläuterungen eines
Druiden sollte sich in diesem Bild die Kraft des gesprochenen Wortes zeigen, die erst im Greisenalter zur höchsten Entfaltung
käme.
Außer den männlichen Gottheiten kannten die Kelten eine große Anzahl von Göttinnen. Zu
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