Die Welt der Kelten
Erinnerungen an die Kelten des Festlandes, deren Spuren erst viele Jahrhunderte später wieder aufgenommen
werden.
|121| 5. Die Kelten der Britischen Inseln
Die geheimnisvollen Zinninseln
Als viele keltische Stämme von den reichen und fruchtbaren Ländern des Mittelmeers angelockt wurden, zog es den griechischen
Gelehrten Pytheas in die entgegengesetzte Richtung. Er begab sich um das Jahr 325 vor Chr. von seiner Heimatstadt Massalia
aus auf eine gefahrvolle Schiffsreise, die ihn in die Länder des Nordens führte. Sein Ziel war ihm nicht gänzlich unbekannt,
weil es wagemutige Händler immer wieder dorthin gezogen hatte, wo nach ihrem Weltbild der Rand der Erdscheibe nahe war. Aber
die Fahrt zu den ständig verregneten und in dichtem Nebel liegenden Inseln lohnte sich, auch wenn antike Historiker auf die
Widerwärtigkeiten ihres Klimas hinwiesen. Denn die dortigen Barbarenstämme beuteten reiche Zinnvorkommen aus, jenes Metallerz,
das für die Bronzeherstellung unverzichtbar war. Dieses begehrte Handelsobjekt verband Nord und Süd und trug bekanntermaßen
zum Reichtum der frühen Keltenfürsten wie der vom Mont Lassois bei, weil sie als Zwischenhändler auftraten.
Den wissensdurstigen Pytheas lockte es also in das ferne Herkunftsland des Zinns; seine Reiseroute führte durch die Straße
von Gibraltar über den offenen Ozean und an der spanischen und französischen Küste entlang nordwärts. Für ihn wurden alle
diese Gebiete einschließlich der geheimnisvollen und nebligen Zinninseln von Kelten bewohnt, jenem Barbarenvolk, das er auch
aus der Nachbarschaft Marseilles kannte. Über die Einzelheiten seiner Expedition ist nichts bekannt, und seine Beobachtungen
und Berichte sind umstritten. Gewiss ist, dass der Grieche viele Inseln kennen lernte, die er insgesamt als »Bretanike«, Britannien,
bezeichnete. Die größten Inseln waren Albion (die britische Hauptinsel) und Ierne (Irland), womit Pytheas wahrscheinlich keltische
Eigenbezeichnungen wiedergab. Denn die Bewohner der Britischen Inseln einschließlich Irlands sprachen überwiegend keltische
Sprachen und bildeten einen Teil der großen Keltenwelt.
Seit jeher spielten die unzähligen großen und kleinen Eilande zwischen Ärmelkanal und meerumbrandeten Orkney- und Shetland-Inseln
sowie zwischen Nordsee und offenem Atlantik eine Sonderrolle, der ein Hauch des Geheimnisvollen nachgesagt wurde. Ihn begründen
bis heute solche |122| imposanten vorgeschichtlichen Steinbauten wie die südenglische Kultstätte Stonehenge und das Hügelgrab von Newgrange in Irland.
Von ihnen und anderen monumentalen Relikten der Jungsteinzeit erzählten sich schon die Kelten Mythen und Sagen, in denen sie
diese zu Behausungen überirdischer Wesen machten. Dabei ist völlig ungeklärt, wie die Kelten selbst auf die Britischen Inseln
kamen. Da diese weder als deren Heimat gelten noch ein Ziel großer Einwanderungen waren, scheint sich die alteingesessene
Bevölkerung regelrecht keltisiert zu haben. Aus letztlich unbekannten Gründen nahm sie die keltische Sprache und Kultur an,
die ihr durch den Handel mit dem Festland und kleinere Einwanderergruppen vermittelt wurden.
Daraus entwickelte sich eine Gesellschaft von zahlreichen Stämmen, die neben den Neuerungen weiterhin alte Traditionen pflegten
und darum in einer spezifisch britannischen Kultur lebten. Wie die Kelten auf dem Kontinent kannte man keine großen Städte,
sondern wohnte auf dem Land, das man bearbeitete. Darüber herrschten die Häuptlinge in den so genannten Hillforts, die im
Süden und Westen Englands besonders häufig zu finden waren. Wie die größte Anlage, Maiden Castle im südenglischen Dorset,
bestanden diese befestigten Höhensiedlungen aus einem von Wällen und Gräben geschützten Areal, das im Innern dicht bebaut
war. Außerdem entstanden auch in England stadtähnliche Oppida, deren Zahl jedoch viel geringer war als in Gallien. Überhaupt
gab die spätkeltische Stadtkultur auf den Britischen Inseln nicht den Ton an. Deren Stämme blieben ihren Traditionen treu
und lebten in einer bunten Vielfalt, was den Römern als Kennzeichen besonderer Urtümlichkeit und Wildheit galt. Gleichwohl
unterhielten die Keltenstämme enge Beziehungen über den Kanal, die unter anderem von den seeerfahrenen Venetern der Bretagne
gepflegt wurden.
Als erster römischer Autor geht Caesar im
Bellum Gallicum
näher auf die Verhältnisse Britanniens ein. Vom Landesinneren
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