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Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Titel: Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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stand? John, ich glaub, du solltest mal zum Arzt gehen!«
    »Wollte ich ja gerade, deshalb such ich ja die Schlüssel.«
    Es kam zum Showdown. Marita verließ IHRE Küche und erschien im Flur. »John, du hast einen Termin beim Proktologen. Glaubst
du,
dass der dir bei deinen Gedächtnisproblemen helfen kann?«
    »Na, wenn das Gedächtnis im Arsch ist, schon!« Ich versuchte es mit Humor, sie antwortete mit Realismus.
    »Hier sind deine Schlüssel, lagen auf dem Küchentisch.«
    »Und meine Brille, liegt die zufällig auch da?«
    »Nein, die hast du auf dem Kopf.« Diesen Satz würzte sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, irgendetwas zwischen Mitleid und Abscheu. »John, ich glaub, du hast Alzheimer!«
    Recht hatte sie, die gute Frau. Im selben Moment hatte ich vergessen, dass sie meine Gattin ist.

    Früher war ich nicht so. Früher wusste ich immer, wo meine Brille war. Beziehungsweise, früher hatte ich gar keine Brille. Früher betrat ich einen Raum, erledigte dort, was ich erledigen wollte, und verließ den Raum wieder. Heute betrete ich einen Raum, zum Beispiel das Schlafzimmer, und nach drei Sekunden frage ich mich: »John, was wolltest du hier? Pennen? Fernsehgucken? Dich anziehen?«
    Ich Depp stehe dann da wie eine Dumpfbacke, habe keinen blassen Schimmer, was mich ins Schlafzimmer getrieben hat, aber um den Weg nicht umsonst gemacht zu haben, mache ich alle drei Dinge auf einmal. Ich lege mich hin, gucke Fernsehen, penne ein, und irgendwann ziehe ich mich auch wieder an.
    Besonders schlimm ist es, wenn ich versuche, mehrere Dinge auf einmal zu tun, wie zum Beispiel Essen, Trinken, Fernsehgucken und dabei wahllos durchs Programm zappen. Frauen und junge, zielstrebige, pubertierende Menschen, solche wie mein Sohn, können so etwas. Sie nennen es »Multitasking« und machen völlig relaxt 20 Sachen auf einmal: Der Pubertierende sitzt in seinem Zimmer und hört Musik. Gleichzeitig guckt er Fernsehen, wird bei »Call of Duty« zum Massenmörder, schreibt seine Hausaufgaben (behauptet er jedenfalls), zieht sich eine Stange Chips rein, trinkt Cola und beschimpft Mutter und Vater. Obwohl … eigentlich mehr Vater als Mutter.
    »Papa, ich möchte nicht mehr, dass du in meinem Compi rumschnüffelst.«
    »Ich schnüffle nicht herum! Ich will nur wissen, auf welchen Seiten mein Sohn unterwegs ist. Das ist meine Pflicht als Vater.«
    »Schon klar, aber du müllst meinen Computer mit Viren voll, weil
du
immer auf irgendwelchen Erotikseiten rumklickst.«
    Und – zack – habe ich vergessen, dass der junge Mann mein Sohn ist.
    Aber wie gesagt, früher war auch ich multitaskingfähig. Ich konnte 20 Dinge auf einmal machen. Jetzt klappt es nicht einmal mehr mit dreien: Essen, Trinken und Zappen geht heute nicht mehr, ohne mich total zu bekleckern! Wenn ich mich heute mit Nahrungsmittteln vor den Fernseher setze, sagt meine Frau immer: »John, zieh dir bitte was anderes an, irgendwas Altes.«
    Und es stimmt: Ich esse, ich trinke, ich wechsle das Programm, und innerhalb von drei Minuten sehe ich aus wie die Solariumsopfer aus den Nachmittagsprogrammen verantwortungsvoller Privatsender: Ich bin von oben bis unten bekleckert. Peinlich. Furchtbar. Als hätte ich überhaupt keine Esskultur. Natürlich hab ich keine, ich bin ja Ami und Amis haben so etwas nicht. Aber diese Ausrede zieht bei mir zu Hause nicht mehr. Meine beiden Mitbewohner, die Frau in den mittleren Jahren und der junge Halbmann, machen sich trotzdem über mich lustig. Man könnte jetzt denken: Was hat das Bekleckern mit Alzheimer zu tun? Das ist doch eher altersbedingtes Nervenzucken. Nein, ist es nicht. Ich zucke nicht, ich vergesse einfach, dass ich etwas zu trinken in der Hand habe. Wenn man sich dessen bewusst ist, ist es allerdings halb so schlimm. Man muss nur vorbeugen. Inzwischen habe ich zum Beispiel immer meinen Pass dabei, selbst in der Sauna. Nicht, um mich immer und überall ausweisen zu können. Nein, ich schau einfach ab und zu drauf, um zu wissen, um wen es sich bei mir handelt.
    Das allerdings hilft nicht bei den schlimmsten aller Folgen einer Demenz: Dem Nach-dem-eigenen-Auto-Suchen. Ich parke irgendwo, verlasse den Wagen für eine halbe Stunde, komme dann wieder und – das Auto ist weg. Eigentlich ist es noch da, aber eben nicht da, wo ich es geparkt habe. Nein, auch falsch. Es ist noch da, wo ich es geparkt habe, aber ich weiß nicht mehr, wo ich es geparkt habe: »Holy Shit!«, entfährt es mir dann: »Wo ist die verdammte Karre?«
    Am

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