Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
entgegnete: »Ignorier den Schmerz einfach! Tu so, als wenn du nicht kurz vorm Herzinfarkt stehen würdest.«
HERZINFARKT ?
Da war es gefallen, das böse Wort!
HERZINFARKT !
Ich war 47 . Ich lebte ungesund, aß zu viel, trieb zu wenig Sport. Okay, der berufliche Stress hielt sich in Grenzen, aber sonst litt ich unter viel zu viel Stress. Gefährlichem Stress. Immer. Zum Beispiel bei meinen täglichen Spaziergängen durch die Fußgängerzonen der Domstadt: Früher nahm ich nur solche Läden wahr, die meine uramerikanischen Instinkte weckten, wie zum Beispiel McDonald’s, Beate Uhse, Dr. Müller und Pizza Hut – und mir ging es gut dabei. Es gab immer was zu gucken oder was zu essen. Heute nehme ich diese Läden kaum mehr wahr, sehe stattdessen nur noch Drogerien, Apotheken und Bestattungsinstitute. »Seit 120 Jahren in Familienbesitz!«, »Beste Feuerbestattungen!«, »Spezialist für Seebestattungen!«
Irgendwie makaber, Werbung für den Tod zu machen, mitten in der Fußgängerzone, denke ich dann immer. Aber ein anderer Teil meines Gehirns denkt: Was kostet überhaupt so eine Seebestattung? Kann das jeder machen? Tote einfach ins Meer werfen, ohne Beton an den Füßen? Doch nachdem
das böse Wort
nun schon gefallen und es eigentlich schon beschlossene Sache war, dass der HERZINFARKT kurz bevorstand oder ich sogar schon einen gehabt hatte, waren diese Bestattungsgedanken mehr als nur sinnlose Synapsen in meinem Hirn. Es waren fast schon konkrete Bestellungen. Zurück im trauten Heim, rief ich meinen Heilpraktiker an, den Polo fahrenden Alternativmediziner Björn … Oder Sven? Kjartan? … Irgendwas Nordisches halt.
»Hey, wie geht’s dir, Björn (Sven, Kjartan)?« Bevor er antworten konnte, dass es ihm gutging, weil es einem Alternativmediziner natürlich immer gutgeht, setzte ich fort: »Ich habe dauernd Schmerzen im linken Arm. Was soll ich tun?«
»Hast du es schon mal mit Ohrenkerzen versucht, John?«
»Ohrenkerzen? Nein, noch nicht wirklich …«
»Okay, dann komm vorbei.«
Ich sagte auch okay. Was allerdings eine Lüge war, weil ich keine Lust auf Ohrenkerzen hatte und auch nicht wirklich vorbeikommen wollte. Ich hatte Schmerzen im linken Arm, nicht in den Ohren.
Eigentlich war ich noch viel zu jung zum Sterben. Meine amerikanische Oma ist weit über 90 Jahre alt geworden. Kurz bevor sie starb, sagte sie: »John, ich hab das Gefühl, dass Gott mich vergessen hat. Ich weiß gar nicht mehr, was ich machen soll, während ich auf den Tod warte. Ich kann weder Kissenbezüge besticken noch stricken!«
Ach ja, Oma. Meine steinalte Oma. Wenn ich nur ein bisschen von ihren Genen abbekommen habe, dann sollte ich mit Mitte 40 keinen HERZINFARKT bekommen. Um mich zu beruhigen, surfte ich ein wenig durchs
worldwideweb
– auf der Suche nach harmlosen Erklärungen für »ziehenden Schmerz im linken Arm«. Die erste Erklärung, die ich fand, lautete: »Schmerzen im linken Arm können auf einen bevorstehenden Herzinfarkt hinweisen.« Super. Genau das, was ich lesen wollte. Die zweite Erklärung klang auch recht vielversprechend: »… könnte ein Symptom für einen Herzinfarkt sein«, und eine Seite weiter hieß es: »Im Fall von Stress oder Panikattacken kommt es häufig zu Brustschmerzen, die sich bis in den linken Arm ausbreiten.«
Bevor ich das
worldwideweb
durchforstet habe, war ich besorgt – aber nicht panisch. Nun war ich in Panik. Also rief ich den Kardiologen an, einen Freund meines Hausarztes, bat um einen sofortigen Termin und erfuhr von einer genervt klingenden Arzthelferin, dass mich der Herr Doktor frühestens in drei Wochen untersuchen könnte. Auf diese Absage reagierte ich wieder gewohnt mit einem überzeugend klingenden »Ich bin Privatpatient!« und reduzierte damit die Wartezeit um eine Woche. Glücklich war ich nicht, weil ich ja vermutlich in den nächsten zwei Wochen sterben würde. Ein Termin
nach
meinem Ableben wäre irgendwie überflüssig, und außerdem würde an meinem Sarg sowieso eine Armada niedergelassener Ärzte stehen, damit sie ihrem treuesten Patienten und Finanzierer diverser Porsches – Adieu sagen und noch einmal danken könnten. An meinem Grab brauchte ich keine Kardiologen. Also rief ich eine andere kardiologische Praxis mit Kassenzulassung an und bat um einen Termin, ebenfalls mit dem dezenten Hinweis, dass ich privat versichert sei. (»Wenn Sie denn mal richtig Geld verdienen möchten …«). Am anderen Ende hörte ich ein Murmeln: »In diesem speziellen Fall
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