Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
könnte ich Ihnen einen Termin nächste Woche Donnerstag anbieten, Herr Dolly!«
Nächste Woche Donnerstag? Bis dahin waren es noch einmal acht Tage. Zu viel für einen Todkranken. Also stöhnte ich in den Hörer: »Bitte! Ich habe höllische Schmerzen im linken Arm! Mein Herz schlägt wie verrückt – oder irgendwie gar nicht! Ich bin völlig am Ende! Ich denke, ich stehe kurz vor einem Infarkt! Ich brauche sofort einen Termin. BITTE !«
Es wirkte. Ich bekam einen Termin für einen »Check-up unter Belastung« – zwei Tage später.
Dann war es zwei Tage später – und ja, ich lebte noch. Ich saß im Wartezimmer und war leicht verwirrt. Es gab tatsächlich keinen chromglitzernden, italienischen Kaffeevollautomaten für den original italienischen Cappuccino: Liegt das an der Kassenzulassung oder am Fachgebiet? Hatten die Angst, dass ihnen die Herzpatienten nach einem starken Kaffee zusammenklappen, noch bevor sie mit der Krankenkasse abrechnen können?
Dann nahm ich die Möbel im Wartezimmer wahr: Billy-Regale, Lundquist-Stühle, vermutlich Selma-Lagerlöf- oder Astrid-Lindgren-Stehlampen und Björn-Borg-Tische. Klar war: Diese Kardiologen mussten über ein stabiles Herz-Kreislauf-System verfügen, sollten sie das alles selbst zusammengeschraubt haben … Ich dachte: »Oh my God, John, wo bist du hier gelandet? Wahrscheinlich fahren diese Ärzte noch nicht einmal einen Porsche. Vermutlich nur Skoda oder Bus und Bahn. Ein Herzspezialist, der mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fährt! Amazing!«
Meine uramerikanische Vorstellung, dass ein guter Arzt Unmengen gutes Geld verdient und auch verdient hat, weil er eben gut ist, geriet ins Wanken. Ein wenig wurde ich durch den Anblick der vielen jungen und hübschen Arzthelferinnen beruhigt, die mich dann doch wieder an die Freundinnen meiner Porsche fahrenden Ärzte erinnerten. Um mich nicht zu sehr auf die Schmerzen in meinem linken Arm zu konzentrieren, versuchte ich mir vorzustellen, was die jungen Damen unter ihren weißen Kitteln trugen. Es gelang mir nicht. Der kurz bevorstehende Herzinfarkt versaute mir jede schöne Phantasie.
Nach 40 Minuten führte mich eine dieser Damen, deren Geheimnis ich nicht lüften konnte, in einen klimatisierten Raum, angefüllt mit Hightech-Geräten.
»So, Herr Dolly, jetzt bitte mal ausziehen und hinlegen.«
Früher, vor dem Verdacht auf Herzinfarkt, hätte ich diese Aufforderung garantiert mit einem ebenso anrüchigen wie peinlichen Spruch kommentiert. Zum Beispiel: »Das sag ich auch immer, klappt aber nicht«, aber jetzt befolgte ich einfach nur ihren Befehl. Ich zog mich aus und legte mich auf die Liege (oder war es schon eine Bahre?). Statt mich in einen Ofen zu schieben, damit ich auf Seebestattungsgröße zusammenschrumpfe, verkabelte mich die junge Dame. Überall. An den Beinen, am Bauch, unter den Armen, am Herzen. Das alles erinnerte mich an Bilder von Hinrichtungen, daheim, in Texas. Aber die Dame setzte keine tödliche Injektion, sondern zog am Ende der Liege zwei Pedale heraus. Ich hatte mich schon gefragt, wo das Ergo-Fahrrad steht, nun wusste ich es: Hier wird im Liegen gefahren. Die Sprechstundenhilfe schnallte noch meine Füße fest, kippte die Trage um circa 30 Grad, und kaum betrat der Kardiologe den Raum, durfte ich für den Belastungstest lostreten. Und wie!
Ich trat und trat. Es musste ein gewaltiger Anstieg sein, den ich da bewältigte. Ich tippte auf »Alpe d’Huez«. Und während ich an meinen gedopten Kollegen Lance, Jan, Bjarne und Alberto vorbeirauschte, maß die Hübsche an meiner linken Seite ständig meinen Blutdruck. Sie pumpte auf und pumpte ab – es hatte irgendwie etwas Anrüchiges. Jetzt, kurz vor dem Etappenziel, schmierte mich der Kardiologe auch noch mit Gleitgel ein und flutschte dann mit einem kleinen Gerät über meinen Oberkörper. Sie rieben, schmierten, pumpten, flutschten – und ich strampelte um mein Leben. Offenbar wurde es immer steiler, zumindest fiel mir das Treten immer schwerer.
»Noch eine Minute, Herr Doyle!«, spornte mich der Arzt an. Eine gefühlte halbe Stunde später sagte er: »Jetzt sind Sie auf der Zielgeraden, Herr Doyle. Jetzt noch einmal richtig Gas geben.«
»Zielgerade?«, stöhnte ich. »Wie lang ist die Zielgerade denn?«
»Ein Stück noch, Herr Doyle, ein kleines Stück.«
»Kann man das Ziel von hier aus schon sehen?«
»Leider nicht, Herr Doyle, die Zielgerade liegt in einer Kurve!«
Ein Mann mit Humor, der Mann. Aber dann kam er endlich, der
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