Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Titel: Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
Vom Netzwerk:
ich dort stand, aber wenn viele Menschen irgendwo anstehen, dann muss ich mich auch immer, fast zwanghaft, hinten anstellen. Es könnte ja was umsonst geben – und außerdem: Gesundheitsamt ist immer gut.
    Hinter mir und vor mir standen nur Frauen. Alle hatten Jacken oder Mäntel an.
    Dass nur Frauen anstanden, irritierte mich nicht. Es war später Vormittag, und da arbeiten Männer in der Regel. Und wenn sie nicht arbeiten, dann stehen sie auf jeden Fall nicht in einer Schlange vor einem Zelt des Gesundheitsamtes. Männer nicht, ich schon. Wie gesagt, das mit den Frauen irritierte mich nicht. Dass die Damen jedoch mit Jacken und Mänteln bekleidet waren, schon, denn
mir
war heiß. Obwohl ich nur ein T-Shirt über meiner schützenden Fettschicht trug, war mir schweineheiß. Ich merkte, wie sich in meinen Achseln die Flüssigkeit sammelte und nach außen drang. Langsam bahnte sich der Schweiß einen Weg durch den dünnen Baumwollstoff des T-Shirts, um schließlich in Form von zwei riesigen dunklen Flecken das Tageslicht zu erblicken. Ich spürte, wie es floss, und weil Schweißflecken unter den Achseln grundsätzlich peinlich sind, insbesondere wenn sich Frauen in unmittelbarer Nähe aufhalten, wurde mir noch heißer. Das wiederum hatte eine fatale Wirkung auf meine Schweißproduktion. Es war wie eine »self fulfilling prophecy«, nur feuchter.
    Eigentlich hätte ich die Warteschlange verlassen müssen – ich wusste ja sowieso nicht, warum und worauf ich da wartete –, aber vor mir standen nur noch fünf Frauen. Es wäre zu schade gewesen, gerade jetzt zu gehen, bevor ich das Geheimnis der Schlange hätte lüften können. Insbesondere, weil immer sechs Personen auf einmal reingelassen wurden. Im nächsten Schub wäre ich also dabei …
    Während die Flecken nunmehr die Ausmaße eines mittleren Rheinhochwassers annahmen, verließen sechs Personen das Zelt und sechs gingen rein. Wer jetzt mitgerechnet hat,
weiß,
dass ich dabei war.
    Endlich.
    Im Zelt erwartete uns ein schneeweiß gekleideter Gesundheitsberater. Er war offenbar freudig erregt und schrie uns zu: »Hallo! Wunderbar, dass Sie sich entschlossen haben, bei unserem kleinen Fitness-Work-Out mitzumachen. Zu Beginn recken wir unsere Arme zum Himmel, so als wollten wir die Sterne vom Himmel holen.«
    Einen kurzen Moment lang vergaß ich die Flutkatastrophe unter meinen Achseln und reckte meine Arme in die Höhe. Ich bin das so von der Navy gewöhnt: Gibt einer schreiend Befehle, befolge ich sie. Leider war ich gerade nicht bei der Navy, sondern in einem Zelt des Kölner Gesundheitsamtes und befolgte die Befehle eines städtischen Fitnesstrainers, der sich zur Aufgabe gemacht hatte, fette Kölner(Innen) wieder auf Trab zu bringen. Als ich meine Arme noch weiter in die Höhe reckte, um die Sterne vom Himmel zu holen, fiel mir plötzlich ein, was gerade unter meinen Oberarmen sonst noch so passierte. Alle Anwesenden einschließlich des Vorturners starrten auf meine Flecken. Einige Damen würgten, eine andere erbrach, der Vorturner rümpfte die Nase – und mir wurde noch heißer. Immer heißer. Letztlich schwamm ich in meinem eigenen Schweiß aus dem Zelt.
    Da kannte ich die Ursache meiner gestörten Temperaturschwankungen noch nicht. Aber es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass ich das Gefühl hatte, dass entweder etwas mit mir oder mit der Umwelt nicht stimmt. Mal war mir kalt, mal warm. Ich zog ein T-Shirt an und – schwitzte. Ich zog einen Pulli an und – fror. Ich stand in der Sonne – es war angenehm. Ich ging ein paar Meter weiter über die Straße, stand im Schatten und dachte: »Leck mich am Arsch, ist das kalt hier! Toll! Ich muss mich umziehen, nur weil ich über die Straße gehe! Na super!«

    Zuerst dachte ich, ich hätte das von meiner Mutter geerbt, denn sie reagiert genauso auf Temperaturschwankungen in der Umgebung. Bei ihrem letzten Besuch in Deutschland hatte sie gefühlte 50 Koffer dabei. Einen kurzen, schrecklichen Moment lang dachte ich, sie würde ihren Wohnsitz von Miami nach Köln verlegen: »Warum so viele Koffer, Mom, so lange bleibst du doch nicht, oder?«
    »Mein lieber John, man weiß nie, wie das Wetter wird.«
    »Mama, es ist Mitte Februar! Wir sind in Deutschland. Man weiß genau, wie das Wetter wird: Beschissen!«
    Am nächsten Tag strahlte die Sonne, und das Thermometer zeigte 22 Grad. Mitten im Februar.
Thank you, global warming!
Mama latschte durch die Fußgängerzone in einem leichten Pulli, ich

Weitere Kostenlose Bücher