Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
wohl vom Taschengeld abziehen müssen.)
Auf jeden Fall stimmte ich der Röntgenaufnahme mit der neuen Computertomographie-Apparatur begeistert zu: »Warum nicht? Ab zum Fotoshooting!«
Im CT zeigte ich mal wieder, dass ich ein absolutes Naturtalent war, wenn es um Fotos geht. Wie bei »Germany’s Next Topmodel by Heidi Klum«. Swetlana, die rassige Arzthelferin, sprach sogar Englisch mit mir, damit es authentischer wirkte: »Fantastic, Baby, fantastic! Look at the camera. Look at the camera. Very sexy. Okay, flirt with the camera, yeah, flirt with the camera!«
Nein, Quatsch, Swetlana sagte das alles natürlich nicht. Vermutlich hieß sie nicht einmal Swetlana, wahrscheinlicher Renate oder Dorothee. Und sie stand auch nicht vor mir, sondern in einem anderen Raum und sprach über Lautsprecher mit mir: »Bitte nicht bewegen, Herr Dolly.« Ich bewegte mich nicht, und dann wurden die Aufnahmen gemacht. Schicht für Schicht.
Die volle Strahlendröhnung für meinen Nacken.
Fukushima in Schichten.
Ein paar Minuten später saß ich wieder mit Vladimir im Behandlungszimmer. Vladimir schaute sich die Bilder auf seinem extragroßen Flatscreen an und wirkte nachdenklich. Er klickte sich immer weiter durch meine Schichten, sein Gesicht spiegelte echte Besorgnis, aber auch Stolz wider. Stolz, weil er so ein tolles, neues Röntgengerät hatte, Besorgnis, weil er etwas sah, was er nicht sehen wollte.
Den NEBENBEFUND nämlich.
»John, ich mag nicht, was ich da sehe.«
»Kein Problem, Vladimir« – ich ganz der lockere John –, »ich mag auch keine Bilder von mir angucken.« Vladimir lachte nicht. Er verzog nicht einmal die Mundwinkel.
»Hier, John, links und rechts im Halsbereich sind zwei weiße, eiförmige Gebilde zu sehen. Das sind die Lymphdrüsen. Und die sind viel größer, als sie sein sollten.«
»Ist das ein Problem?«, fragte ich grinsend, »mein Bauch ist auch größer, als er sein sollte. Meine Frau kann nicht gut damit leben. Ich schon.« Mein Humor kam nicht gut an.
»John, das ist kein Witz. Es besteht der Verdacht auf Lymphdrüsenkrebs!«
Das
hört man nicht so gern. Und während ich noch nach irgendeiner passenden Reaktion suchte, haute er den Nächsten raus.
»Und hier, die Halsschlagadern. Ganz klar: Verdacht auf Verkalkung.«
Nichts fiel mir mehr ein, nicht einmal irgendein Gag mit »Calgon« oder »Antikalk«. Der Meister aller Hypochonder – und das bin ich, keine Frage – war sprachlos. Wie durch einen Nebelschleier hörte ich noch: »Halsschlagader … verkalkt … Durchblutung gefährdet … Hirnschlag.«
Nächster Termin auf dem Weg zum Friedhof: Ich war zu Gast bei einer Onkologin, die Vladimirs Verdacht auf Lymphdrüsenkrebs bestätigen sollte. Immerhin, meine Nackenschmerzen waren weg. Ich meine, was soll man auch mit Nackenschmerzen, wenn die Lymphe metastasieren? Jetzt spielen die großen Kinder, jetzt ist Krebs und Hirnschlag angesagt, da müssen sich die kleinen Wehwehchen, die Nackenschmerzen und Bandscheibenbeschwerden mal ganz brav hinten anstellen.
Ich saß also im Wartebereich der Onkologin. Ein geschmackvoll eingerichteter Raum mit unendlich vielen bunten Broschüren: » LUNGENKREBS !« » GALLENKREBS !« » HAUTKREBS !« » HODENKREBS !« » LEBERKREBS !« » MAGENKREBS !« » NIERENKREBS !«
Nie wollte ich beim Arzt die »Bunte« lesen. Nie wollte ich wissen, wie der spanische König Elefanten und wie Boris Becker Raumpflegerinnen jagt. Mich interessierte auch noch nie, wie glücklich Prinz William mit seiner Kate ist, ob sie oben ohne spazieren ging oder Prinz Harry in Afghanistan Nackt-Partys feierte. Okay, der Arsch von Pippa, darüber ließe sich reden, aber sonst?
Nein, keine »Bunte« oder verwandte Blätter. Aber angesichts dieser Flut von Krebsbroschüren hätte ich mich mit jeder dahergelaufenen Oma um die »Bunte« geprügelt. Ich hätte ihr das Blatt mit Gewalt aus der Hand gerissen und geschrien: »Gib es mir, du Hexe! Lies was über Krebs und lass mir Kate!«
Wie kann man nur ein Wartezimmer für Menschen, die möglicherweise an Krebs leiden, mit Broschüren tapezieren, die in allerdicksten Lettern diese ultrafiese Krankheit auch noch anpreisen? Was dachte sich die Onkologin dabei: »Hm ja, meine Patienten werden vielleicht eine Stunde hier im Wartezimmer sitzen müssen. Ich biete ihnen hiermit die Möglichkeit, ihr Wissen zum Thema Magenkrebs zu vertiefen. Oder vielleicht Gallenkrebs. Oder beides. Man kann gar nicht genug über Krebs wissen!«
Dieses
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