Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
einem beleibten Amerikaner zerquetscht zu werden.
Das positivste Erlebnis mit meiner angeschlagenen Bandscheibe hatte ich allerdings während eines Familienausflugs. Meine Frau und ich waren auf der A 4 unterwegs, irgendwo zwischen Chemnitz und Zwickau. Plötzlich machte es »Peng!« – und der vordere, rechte Reifen war platt. Ich steuerte den Wagen auf den Standstreifen, während meine Frau mich böse anschaute. Sie wollte mir irgendeinen Vorwurf machen, ihr fiel nur kein guter ein. So etwas wie: »Hättest du die Reifen vorher überprüft, wäre das nicht passiert!«, war zu blöd, als dass es ihr weibliches Vorwurfsbedürfnis hätte befriedigen können. Also stiegen wir aus dem Auto und schauten uns staunend den platten Reifen an. Anfangs zeigte ich mich noch engagiert, legte selbst Hand an, aber schon beim Rausheben des Reservereifens aus dem Kofferraum machte meine Bandscheibe nicht mehr mit.
»Marita, es geht nicht. Ich krieg den Reifen nicht raus, kannst du mal?« Mangels Alternative, zum Beispiel in Form eines gelben oder irgendeines anderen Engels, tat meine Frau es. Weil ich mich nicht einmal mehr bücken konnte, überließ ich auch alle weiteren Arbeitsschritte meiner Frau, nicht ohne ihr fachmännische Anleitung zu geben: »Jetzt musst du den Wagenheber ansetzen … ja, richtig drunterschieben … nein, nicht ganz hoch, erst die Schrauben lockern. Nein, nicht die Schrauben vom Wagenheber, die Radmuttern. Wenn es so nicht geht, musst du das Rohr als Verlängerung über das Radkreuz schieben, das erhöht die Hebelwirkung.«
Meine Frau befolgte meine Anweisungen, ihre garantiert giftigen Blicke bekam ich nicht mehr richtig mit. Weil es so heiß war, setzte ich mich ins Auto, und zur Schonung meines lädierten Rückens drehte ich den Sitz auf Liegeposition.
»John, ich hab alle Schrauben losgedreht. Was jetzt?«
»Jetzt musst du den Wagen richtig hochbocken und dann den Reifen abnehmen.«
»John, der ist total dreckig!«
»Das haben Reifen so an sich. Sie rollen ja auf der Straße, und die werden selten gewaschen.«
Ich sah ihren hasserfüllten Blick vor meinem inneren Auge und streckte mich noch einmal richtig aus. Strecken und Dehnen tut der Bandscheibe besonders gut.
»John, ich krieg das Reserverad nicht drauf. Ich treffe die Löcher für die Schrauben nicht. Die passen nicht.«
»Die passen. Definitiv. Du musst es nur einfach immer wieder probieren, irgendwann klappt es schon«, und ich wusste, dass ich damit nicht nur eine Panne behoben, sondern endlich auch das Vorwurfsbedürfnis meiner Frau befriedigt hatte. Prompt wurde ich bestätigt.
»John, eines sag ich dir: Das war das letzte Mal, dass ich so was für dich mache! Ab sofort nimmst du ab und treibst Sport. Ich habe keine Lust mehr, deine Faulheit und Fresserei auszubaden.«
Meine Frau hat vollkommen recht.
Auf der anderen Seite: Das Auto rollt wieder.
Nebenbefunde
Wenn man so liest, was ich von mir gebe, könnte man den Eindruck bekommen, dass ich gerne zum Arzt gehe, beziehungsweise zu diversen Ärzten, und dass mein Leben aus einigen weniger wichtigen und drei sehr wichtigen Dingen besteht:
Im Café rumhängen
Essen und
zum Arzt gehen.
Das stimmt nicht ganz. Ich streite mich auch gern mit meinem Sohn und trinke gerne Kölsch in Gesellschaft. Aber das mit dem Arzt oder von mir aus auch das mit den Ärzten stimmt schon. Je älter ich werde, desto mehr werde ich Patient. Schade, dass das nicht bezahlt wird: Ich wäre reich, glücklich und gesund. Okay, gesund nicht, dafür sind Ärzte ja nun wirklich nicht zuständig. Die sind eher fürs Panikmachen da.
Ein probates Mittel, um Patienten in Panik zu versetzen, sind die sogenannten »Nebenbefunde«: Der Arzt behandelt ein bestimmtes Leiden und findet während der Behandlung »zufällig« ein anderes, mögliches Leiden. »Möglich«, weil der Arzt von diesem Leiden keine Ahnung hat und deshalb nur einen Verdacht äußert.
»Herr Doyle, ich kann es nicht ganz genau sagen … ich will mich da jetzt nicht festlegen, aber ich glaube, Sie sind tot.«
»Ach was? Sind Sie sich da sicher, Herr Doktor?«
»Na ja, wissen Sie, Herr Doyle, das ist nicht gerade mein Fachgebiet, aber so ohne Puls, so ganz ohne Herzschlag und dann diese Würmer … da ergibt sich schon ein kleiner Verdacht. Ich gebe Ihnen mal besser eine Überweisung an den Bestatter mit. Alles Gute, Herr Doyle!«
Das mit den »Nebenbefunden« ist übrigens keine Erfindung unserer ansonsten so erfindungsreichen Mediziner.
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