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Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Titel: Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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mich nicht nur die Pygmäenschrift, es ist auch die Informationsflut, die mir regelmäßig eine Paranoia beschert. Als habe man Tolstois »Krieg und Frieden« auf ein DIN -A 4 -Blatt gepresst und dieses dann anschließend 20 000 -mal gefaltet. Haben Sie schon mal versucht, eine Packungsbeilage wieder zusammenzufalten? Exakt so, wie Sie das Papier aus der Packung gezogen haben? Es geht nicht. Sie müssten das Stück Papier erst falten und dann mit einem Dampfbügeleisen eine halbe Stunde lang pressen, um nur annähernd die ursprüngliche Faltung wieder hinzubekommen.
    Doch die Faltung ist noch immer nicht alles. Noch schlimmer ist die Fülle an Informationen: »Wie wirkt dieses Medikament?« »Wie wird es angewendet?« »Was müssen Sie vor der Einnahme beachten?« »Welche Nebenwirkungen gibt es?« »Wie muss das Medikament aufbewahrt werden?« (…
falls sie es aus lauter Frust nicht komplett aufgefressen haben.)
    Und während ich immer wieder aufs Neue versuche, das Machwerk zu entziffern, denke ich: Scheiße! Ich brauche eine neue Lesebrille. Gibt es auch eine mit 25 Dioptrien? Wenn ich die Schrift dann schließlich mit Unterstützung mehrerer Lupen entziffert habe und über die Nebenwirkungen lese, fällt mir ein, dass der Apotheker gesagt hat, dass das ein ganz harmloses Medikament sei, ein homöopathisches Mittel. Warum lese ich dann Begriffe wie »Hirnblutung«, »Herzstillstand« und »frühzeitiger Tod«? Was bitte ist daran harmlos?
    Es steht da ganz, ganz klein, aber schwarz auf weiß: »In sehr seltenen Fällen kann die Einnahme dieses Medikaments zu Hirnblutungen führen.« Außerdem zu »Atemwegsbeschwerden«, »Herzstillstand«, »Hautausschlag«, »Schlaflosigkeit« und »Depression«. Der Hypochonder in mir fragt sich: Was bedeutet »in sehr seltenen Fällen«? Jeder zweiter? Jeder zehnter? Einmal unter 10 000 000 ?
    Ich finde, das ist eine berechtigte Frage. Ich meine, wir spielen doch auch jede Woche Lotto, und da sind die Chancen, sechs Richtige zu bekommen, auch sehr, sehr gering. Eins zu 14 Millionen. Aber jede Woche gewinnt doch einer. Oder mehrere. Hätten die mein Medikament geschluckt, wären sie jetzt wahrscheinlich tot. Schließlich finde ich in der Packungsbeilage die passende Textstelle zu meiner Panik: »In sehr seltenen Fällen«, heißt nichts anderes als »bei einer bis zehn Behandlungen auf 10 000 Fälle«.
    Aha. Beim Lotto würde ich mich über diese Gewinnchancen freuen. Bei einem Medikament bin ich mir da nicht so sicher. Will ich dieses Risiko überhaupt eingehen, oder lebe ich lieber mit einem steifen Nacken?
    In den USA wird das anders gehandhabt. Zwar gibt es auch da Packungsbeilagen, aber die liest keiner. Warum? Weil schon in der Werbung alle möglichen Horrorszenarien angesprochen werden. Da heißt es nicht: »Lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!« Nein, in den USA hört sich das anders an. Zuerst wird beschrieben, wie toll das Medikament wirkt: »Es beseitigt nicht nur Ihre Rückenschmerzen! Es macht Sie auch schöner, schlanker und lebenslustiger!« Dann aber erklärt eine überaus sympathische Dame, dass das Medikament unter Umständen, aber ganz, ganz, ganz selten, »zu Erblindung führen und Hirntumore entstehen lassen oder zu fußballgroßen Ekzemen im Gesicht führen kann.« Aber wirklich nur
ganz, ganz, puppi-pappi-selten.
Da braucht man die Beilage nicht mehr mühsam entziffern. Man weiß es ja schon und – hat es bei der Einnahme längst wieder vergessen.
    Ich habe mittlerweile einen Entschluss gefasst: Demnächst erspare ich mir die ganze mühsame Leserei und werde einfach den Apotheker fragen. Soll ich ja tun, sagen die doch immer im Fernsehen. Ich werde ihn fragen, den Apotheker, immer und immer wieder. Bis irgendjemand die Packungsbeilagen verständlich formuliert, und das auch noch in
Arial 12 .

Notaufnahme (amerikanisch)
    Für uns Deutsche – ich zähle mich ja inzwischen auch dazu – ist es völlig normal, montags zum Arzt zu gehen. Weil man krank ist oder einsam oder weil es eben Montag ist. Drei Millionen Deutsche gehen täglich zum Arzt und montags sogar sechs Millionen. Die restlichen Tage verbringen sie auf Gesundheits- beziehungsweise Krankheitsportalen im Internet. Ich weiß das, weil ich es auch so mache, und deshalb weiß ich auch, dass meine Metamorphose vom dicken Ami zum dicken Deutschen so gut wie abgeschlossen ist. So betrachtet ist es auch kein Wunder, dass »wir« Deutschen Spezialisten in Sachen

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