Die Welt ist nicht immer Freitag
vielleicht denken, so ein dummer Student vielleicht, was? Ich sag Ihnen was, ich hab mein Studium abgebrochen und bin zur Post gegangen, was sagen Sie nun. Ob ich mit ner Stichsäge umgehen kann, man munkelt, ich hätte die Stichsäge erfunden, Horst, die Stichsäge, Evers hat man mich genannt. Also, wo kommt denn jetzt dieses Sägeblatt rein.
- In den Schwingschleifer kommt normalerweise gar kein Sägeblatt. Und, ich gebe zu, ich dachte im ersten Moment, Sie seien handwerklich ungeschickt, aber ich hab Sie von Anfang an für einen Postler gehalten.
Das neue Berlin
Donnerstagmorgen. Ich habe Besuch aus Westdeutschland. Er bittet mich, ihm die Stadt zu zeigen. Na toll. Ich bin gastfreundlich, wie es sich gehört, zeige auf das Fenster, und sage ihm, er darf sich da ruhig, solange wie er will, die Stadt in Ruhe angucken. Er findet den Hinterhof mit den sechs Mülltonnen in unterschiedlichsten Farben erstaunlich schnell langweilig und will noch mehr von der Stadt sehen. Ich weise auf das äußerst miese Wetter draußen hin, bleibe aber trotzdem gastfreundlich und schlage vor, ihm anhand eines Stadtplanes alles liebevoll zu beschreiben.
Doch der Nimmersatt ist immer noch nicht zufrieden, er will die Sehenswürdigkeiten richtig sehen. Ein Konflikt bahnt sich an. Und Thomas spielt jetzt seinen höchsten Trumpf.
»Also gut, bleiben wir halt drei Tage hier in der Küche und unterhalten uns.«
Ah, dieser Schweinehund. Man muß dazu wissen, Thomas, mein Besuch, ist kein sonderlich guter Geschichtenerzähler. Gespräche mit ihm laufen meist wie folgt ab:
- Mensch Horst, haste schon gehört, die Geschichte von Markus, dem se in Spanien den Wagen aufgebrochen haben?
- Nee Mensch, erzähl mal.
- Ja, äh, also dem Markus, dem haben se den Wagen aufgebrochen. In Spanien.
Dann ist das Gespräch in der Regel auch schon wieder beendet. Ich entschließe mich für einen Kompromiß, die kleine Stadtführung, und nehme ihn mit zum Brötchenholen. Damit er sich gleich ein bißchen in Berlin einleben kann, überlasse ich ihm in der Bäckerei das Geschäftliche. Er verlangt Brötchen. Ich freue mich schon auf die fällige: »Brötchen hamm wir nach, wenn Se wat wolln, könnse Schrippen haben!«-Arie der Bäckersfrau, als das Unfaßbare geschieht. Sie lächelt nur, gibt ihm freundlich die Brötchen und sogar noch anstandslos auf einen 50-Mark-Schein raus. Ich bin enttäuscht und entsetzt. »Aber gute Frau, hamm Se nich gehört, er hat Brötchen gesagt, Brötchen, war denn jetzt nich die traditionelle Berliner Schrippenpredigt fällig?«
- Jaja, ich weiß, aber die Zeiten ändern sich.
- Wie, die Zeiten ändern sich? Der junge Mann macht extra die lange Reise von Westdeutschland nach Berlin, um ein bißchen über die Berliner Lebensart zu erfahren, und Sie verweigern ihm die traditionelle Schrippenpredigt? Also für mich ist das Betrug am Touristen.
Sie lächelt weiter freundlich, aber das bringt mich nur noch mehr in Rage.
- Sie können doch hier nicht einfach freundlich sein, wie es Ihnen paßt. Ich fürchte, ich muß bei der Berliner Bäckerinnung über diesen Vorfall Meldung erstatten!!!
Thomas wird die Sache unangenehm, und er zerrt mich aus dem Laden. Auf dem Bürgersteig denke ich wehmütig an meine erste Schrippenpredigt zurück, damals im Wedding. Frau Schmäh aus meinem Haus hatte seinerzeit im ganzen Viertel gestreut, daß der Neue heute zum erstenmal Schrippen holen geht. In der ganzen Bäckerei, bis weit auf die Straße raus standen sie und lauschten der furiosen Schrippenpredigt meiner Weddinger Bäckersfrau. Wie ein geprügelter Hund schlich ich damals, gefaltet, geknickt, eingetütet und versandtbereit unter dem tosenden Beifall der gesamten Nachbarschaft aus der Bäckerei. Ja, das warn noch Zeiten. Die goldenen Achtziger, wo sind sie hin? Im Moment haben die ja ihr Revival, aber ich habe manchmal das Gefühl, es kommen nur die Sachen wieder, die besser in Vergessenheit geraten wären: Modern Talking, Schulterpolster und Walter Momper…
Dafür geht eine über Jahrzehnte gewachsene Frontstadtkultur langsam, aber sicher den Bach runter. Verkäufer, Kellner, Sprechstundenhilfen, alle sind auf einmal nett und umgänglich.
Und sogar die BVG, von der man immer dachte, sie wird das ewige Bollwerk gegen zu viel Freundlichkeit in der Stadt bleiben, hat sich mit einem raffinierten Trick aus der Verantwortung gestohlen. Sie ersetzt ihr Bahnhofspersonal durch freundliche Automaten.
Natürlich könnte man sagen, ein
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