Die Welt ohne uns
Raubtiere des Kontinents.
Hawaii, wo es keine größeren Raubtiere geben wird als die Nachkommen von Schoßhunden, wird vermutlich in den Besitz von Kühen und Schweinen übergehen. Andernorts könnten Hunde sogar dem Vieh zu überleben helfen: Schafzüchter auf Feuerland behaupten des Öfteren steif und fest, der Hüteinstinkt sei in ihren Australischen Kelpies so tief verwurzelt, dass es keine Rolle spiele, ob Menschen vorhanden seien oder nicht.
Doch sollte die Menschheit so zahlreich an der Spitze der planetarischen Hackordnung bleiben, dass immer größere Teile der freien Natur unserer Nahrungsproduktion geopfert werden, ist Peter Wards Szenario durchaus vorstellbar, obwohl es zur absoluten Herrschaft des Menschen über die Natur sicherlich nie kommen wird. Kleine, sich schnell fortpflanzende Tiere wie Nager und Schlangen passen sich fast jedem Lebensraum an, abgesehen von Gletschern, und beide Arten werden einem ständigen Ausleseprozess durch wild lebende Katzen unterzogen, die selbst sehr fruchtbar sind. In seinem Buch Future Evolution entwirft Ward das Bild von Ratten, die sich zu känguruähnlichen Hüpftieren mit Säbelzähnen entwickeln, und Schlangen, die fliegen lernen.
Ob erschreckend oder amüsant, im Augenblick ist diese Vision noch reine Phantasie. Die Lehre aus jedem Massenaussterben laute, so Doug Erwin, dass wir durch Betrachtung der verbliebenen Arten nicht vorhersagen können, wie die Welt fünf Millionen Jahre später aussehen wird.
»Es wird eine Menge Überraschungen geben. Seien wir doch ehrlich: Wer hätte die Existenz von Schildkröten vorhergesagt? Wer hätte sich einen Organismus vorstellen können, der sich praktisch selbst umkrempelte, indem er seinen Schultergürtel zwischen die Rippen einzog, um einen Panzer zu bilden? Wenn es die Schildkröten nicht gäbe, würde kein Biologe einem Wirbeltier so etwas zutrauen: Er würde zum Gespött seiner Zunft. Es gibt nur eine einzige vernünftige Voraussage: dass das Leben weitergeht. Und das wird interessant sein.«
17 Wohin gehen wir?
»Wenn die Menschen verschwunden sind, wird es ein Drittel der Vögel auf der Erde wohl überhaupt nicht bemerken«, sagt der Ornithologe Steve Hilty.
Damit meint er die Vögel, die ihr ganzes Leben isoliert im Dschungel des Amazonasbeckens, in entlegenen australischen Dornwäldern oder auf indonesischen Schattenhängen verbringen. Ob sich andere Tiere, die vermutlich eine Veränderung bemerken – unter Stress, gejagt und gefährdet wie etwa das Dickhornschaf oder das Spitzmaulnashorn –, tatsächlich über unser Verschwinden freuen würden, entzieht sich unserer Kenntnis. Nur bei ganz wenigen Tieren, meist domestizierten wie Hunden oder Pferden, könnten wir die Emotionen deuten. Sie würden die regelmäßige Fütterung und vielleicht – trotz Leinen und Zaumzeug – den einen oder anderen Besitzer vermissen. Tierarten, die wir für besonders intelligent halten – Delfine, Elefanten, Schweine, Papageien und unsere Vettern, die Schimpansen und Bonobos –, würden uns vermutlich überhaupt nicht vermissen. Obwohl wir häufig beträchtliche Anstrengungen unternehmen, sie zu schützen, ändert das nichts daran, dass ihre Gefährdung in der Regel von uns ausgeht.
In erster Linie dürften wir von den Geschöpfen betrauert werden, die buchstäblich nicht ohne uns leben können, weil die Evolution sie gelehrt hat, auf und von uns zu leben: Pediculus humanus capitis und sein Bruder Pediculus huma n us humanus – die Kopf- und Kleiderläuse. Die Letzteren sind so speziell an uns angepasst, dass sie nicht nur von uns, sondern auch von unserer Kleidung abhängig sind – eine Eigenschaft, die sie mit keiner anderen Art teilen, abgesehen vielleicht von den Modedesignern. Trauern werden möglicherweise auch die Haarbalgmilben, die so winzig sind, dass Hunderte von ihnen in unseren Augenwimpern leben; sie verzehren unsere abgestoßenen Hautzellen und sorgen so dafür, dass unsere Schuppen nicht überhandnehmen.
Außerdem beherbergen wir rund 200 Bakterienarten, besonders in Dickdarm, Nasenlöchern, Mundhöhle und auf den Zähnen. Hunderte von kleinen Staphylokokken leben auf jedem Quadratzentimeter unserer Haut, wobei sich Tausende in den Achselhöhlen, im Schritt und zwischen den Zehen einnisten. Fast alle sind genetisch so auf uns zugeschnitten, dass sie mit uns verschwinden werden. Nur wenige würden ein Abschiedsbankett auf unseren Kadavern besuchen, noch nicht einmal die Haarbalgmilben:
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