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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
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ihr Sponsor, die Scripps Institution of Oceanography, haben diese Wasserwelt ohne Menschen aufgesucht, um zu sehen, wie Korallenriffe aussahen, bevor die Menschen auf Erden erschienen. Ohne einen solchen Vergleichsmaßstab wird man sich kaum darauf einigen können, wie ein gesundes Riff auszusehen hat, gar nicht zu reden von der Frage, wie man die unterseeischen Pendants der Artenvielfalt des Regenwaldes wieder in ihren Urzustand zurückversetzen kann. Obwohl noch Monate der Datenauswertung vor ihnen liegen, haben diese Forscher bereits Anhaltspunkte gefunden, die im Widerspruch zur herrschenden Meinung und sogar ihren eigenen Erwartungen stehen.
    Angesichts dieser Haie und einer allgegenwärtigen Art von mehr als zehn Kilo schweren Roten Schnappern mit eindrucksvollen Gebissen – deren einer sich das Ohr eines Fotografen als Andenken holte – hat es den Anschein, als würden die großen Fleischfresser hier den Löwenanteil der gesamten Biomasse stellen. Falls das richtig wäre, würde daraus folgen, dass am Kingman-Riff das konventionelle Bild der Nahrungspyramide auf den Kopf gestellt wäre.
    Wie der Paläontologe Paul Colinvaux 1978 beschrieb, fressen die meisten Tiere Geschöpfe, die kleiner und sehr viel zahlreicher sind als sie selbst. Da nur etwa zehn Prozent der Energie, die sie zu sich nehmen, in Körpermasse verwandelt wird, müssen Millionen kleiner Insekten das Zehnfache ihres Körpergewichts an winzigen Milben fressen. Die Insekten ihrerseits werden von einer entsprechend geringeren Zahl von kleinen Vögeln vertilgt, die ihrerseits von noch weniger Füchsen, Wildkatzen und großen Greifvögeln gejagt werden.
    Noch stärker als von der Stückzahl, so Colinvaux, werde die Nahrungspyramide von der Masse bestimmt: »Alle Insekten in einem Waldstück wiegen viele Male so viel wie die Gesamtzahl der Vögel; und alle Singvögel, Eichhörnchen und Mäuse zusammen wiegen weit mehr als die Gesamtheit aller Füchse, Falken und Eulen.«
    Keiner der Forscher, die zu dieser Expedition im August 2005 aus Amerika, Europa, Asien, Afrika und Australien angereist sind, würde diese – auf die Verhältnisse an Land bezogenen – Schlussfolgerungen bestreiten. Doch im Meer könnte es sich anders verhalten. Vielleicht ist aber auch das Festland die Ausnahme. Die Oberfläche unseres Planeten besteht – ob mit oder ohne Menschen – zu zwei Dritteln aus jenem veränderlichen Stoff, auf dem sich jetzt die White Holly wiegt. Vom Kingman-Riff aus betrachtet, gibt es kaum Anhaltspunkte, um unseren Raum zu gliedern, da der Pazifik keine Grenzen hat. Endlos erstreckt er sich in alle Richtungen, bis er in den Indischen Ozean und das Südliche Eismeer übergeht und sich durch die Beringstraße ins Nördliche Eismeer quetscht, um endlich zum Atlantik zu werden. Vor langer Zeit war das große Meer der Erde der Ursprung von allem, was atmet und sich fortpflanzt. Mit dem Meer verschwände die Zukunft aller Lebewesen.
     
    »Schleim.«
    Jeremy Jackson, Meerespaläoökologe an der Scripps Institution, ist der Initiator dieser Mission. Er hat viele Jahre seines Forscherlebens hier in der Karibik verbracht, um die Auswirkungen von Überfischung und Klimaerwärmung auf die Korallenriffe zu studieren. Wenn die Korallen sterben und zerfallen, werden sie von einem unansehnlichen Algenschleim ersetzt.
    In den ersten Tagen waren die Forscher der White-Holly- Expedition 2005 verblüfft über den Schleim auf den Riffs vor Kiritimati, der Weihnachtsinsel, wo etwa Papageifische, die die niedrige Pflanzendecke abweiden, schon überfischt sind. Auf einer weiteren Insel bot das rostende Wrack eines gesunkenen Frachters noch viel mehr Algen Lebensraum. Rund um die winzige Insel Teraina, die für ihre Größe erheblich überbevölkert ist, gibt es überhaupt keine Haie oder Schnapper mehr. Die Bewohner haben dort in der Brandung mit Gewehren unter anderem nach Schildkröten und Gelbflossen-Thunfischen gejagt. Das Riff wies eine zehn Zentimeter dicke Algenmatte auf.
    Das heute unter der Meeresoberfläche befindliche Kingman-Riff, am weitesten nach Norden gelegen, hatte einst die Größe von Hawaiis Hauptinsel und besaß einen ebenso großen Vulkan. Sein Krater liegt jetzt unter dem Wasser der Lagune, nur sein Korallenring ist gerade noch erkennbar. Da Korallen in Symbiose mit friedlichen einzelligen Algen leben, die Sonnenlicht brauchen, wird mit Kingmans Kegel auch das Riff verschwinden – die Westseite ist bereits überflutet, wodurch jene Bumerangform

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