Die Welt ohne uns
sagt Rohwer und klettert aus dem Frachtraum in den wesentlich kühleren Nachmittag, »bringt der Stoff, der von den Algen ausgeschieden wird, die Koralle um.«
Woher kommt diese Algenplage? »Normalerweise«, erläutert er, »leben Korallen und Algen in friedlichem Gleichgewicht, wobei die Fische ihren Teil dazu beitragen, indem sie die Algen abweiden und kurz halten. Doch wenn die Wasserqualität in der Umgebung eines Riffs nachlässt oder die weidenden Fische aus dem Ökosystem eliminiert werden, bekommen die Algen die Oberhand.«
In gesundem Meerwasser wie dem am Kingman-Riff gibt es eine Million Bakterien pro Milliliter, die Lebenswichtiges für unseren Planeten leisten, indem sie die Bewegung der Nährstoffe und des Kohlenstoffs in seinem Verdauungssystem steuern. An den Küsten der bewohnten Line Islands (Zentralpolynesische Sporaden) zeigen einige Proben jedoch fünfzehnmal so viele Bakterien. Durch Sauerstoffaufnahme ersticken sie die Korallen und schaffen so Platz für noch mehr Bakterien. Es ist jener Schleimzyklus, den Jeremy Jackson fürchtet und den Forest Rohwer für durchaus möglich hält.
»Mikroorganismen kümmert es herzlich wenig, ob wir – oder andere Geschöpfe – existieren oder nicht. Wir sind lediglich eine mäßig interessante ökologische Nische für sie. Tatsächlich ist der Zeitraum, wo es neben Mikroorganismen noch andere Lebewesen auf dem Planeten gibt, sehr kurz. Über Jahrmilliarden gab es nur sie. Sobald die Sonne ihre Expansion beginnt, werden wir verschwinden und die Weltbevölkerung wird wieder auf Millionen oder Milliarden Jahre hinaus aus Mikroorganismen bestehen.«
Sie würden bleiben, sagt er, bis die Sonne das letzte Wasser auf der Erde verdunstet habe, da Mikroorganismen es brauchen, um leben und sich fortpflanzen zu können. »Allerdings lassen sie sich durch Gefriertrocknen sehr gut lagern. Alles, was wir ins All schießen, ist mit Mikroorganismen behaftet, auch wenn wir dies um jeden Preis zu verhindern suchen. Wenn sie einmal dort oben sind, gibt es keinen Grund, warum sie nicht Jahrmilliarden überstehen sollten.«
Die Mikroorganismen waren jedoch außerstande, sich über Land auszubreiten, wie es die komplexeren Zellstrukturen schließlich taten, indem sie Pflanzen und Bäume bildeten, die ihrerseits noch komplexeren Lebensformen neue Nischen boten. Mikroorganismen können nur eine einzige Strukturform bilden: Schleimteppiche, ein Rückfall in die frühesten Lebensformen des Planeten.
Zur sichtlichen Erleichterung der Wissenschaftler ist das am Kingman-Riff noch nicht geschehen. Herden Großer Tümmler begleiten die Tauchboote auf ihren Ausflügen. Immer wieder springen die großen Säuger aus dem Wasser, um sich einen der reichlich vorhandenen Fliegenden Fische zu schnappen. Jedes Unterwassertranssekt offenbart eine neue Vielfalt, von den zentimeterlangen Grundeln bis zu Mantarochen mit einer Spannweite von bis zu sieben Metern und Hunderten anderer Fischarten.
Die Riffe selbst, wunderbar sauber, zeigen eine bunte, verschwenderische Korallenvielfalt. Gelegentlich verschwinden die Korallenwände fast hinter farbenfrohen Wolken kleinerer Weidefische. Die Expedition hat ein Paradox bestätigt: Die Anzahl dieser Fische wird durch die Schwärme hungriger Raubfische hervorgerufen, die sie verschlingen. Unter solchem Druck pflanzen sich die kleinen Pflanzenfresser noch schneller fort.
»Denken Sie ans Rasenmähen«, erläutert Alan Friedlander. »Je öfter Sie das Gras schneiden, desto schneller wächst es. Wenn Sie es eine Zeit lang sich selbst überlassen, nimmt das Wachstumstempo wieder ab.«
Es ist wenig wahrscheinlich, dass dergleichen am Kingman-Riff geschehen könnte – angesichts der Heerscharen hungriger Haie. Die Papageifische, deren schnabelartige Schneidezähne sich im Zuge der Evolution so ausgebildet haben, dass sie auch noch die hartnäckigsten korallenerstickenden Algen erwischen, wechseln sogar ihr Geschlecht, um ihre schwindelerregende Reproduktionsrate aufrechtzuerhalten. Das gesunde Riff sorgt für ökologisches Gleichgewicht, indem es den kleinen Fischen genügend Schlupfwinkel und Spalten anbietet, in denen sie sich verstecken und fortpflanzen können, bevor sie zu Haifutter werden. Infolge der ständigen Umwandlung pflanzlicher Nährstoffe in kleine Fische von kurzer Lebensdauer konzentriert sich in den Raubfischen an der Spitze der Nahrungspyramide der Großteil der Biomasse.
Später sollten die Expeditionsdaten zeigen, dass 85
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