Die Welt ohne uns
entsteht, die es der White Holly ermöglichte, in die Lagune einzulaufen und dort zu ankern.
»Es ist schon äußerst merkwürdig«, meinte Jeremy Jackson, »dass ausgerechnet die älteste Insel, die sich anschickt, in den Wellen zu versinken, die größte Widerstandskraft gegen die Umweltsünden des Menschen beweist.«
Bewaffnet mit Maßbändern, wasserfesten Klemmbrettern und einem Meter langen Kunststofflanzen, zählte das Forscherteam in seinen Neoprenanzügen Korallen, Fische und Wirbellose rund um den zerbrochenen Ring des Kingman-Riffs, wobei ihre Stichproben bis zu vier Metern zu beiden Seiten mehrerer Transsekte unter dem kristallklaren Wasser des Pazifiks erfassten. Um die mikroorganische Basis der gesamten Lebensgemeinschaft des Riffs zu untersuchen, nahmen sie Proben des Korallenschleims, pflückten Seetang und füllten Hunderte von Literflaschen mit Seewasserproben.
Die Forscher schwammen dabei nicht nur durch Schwärme neugieriger Haie, unfreundlicher Schnapper und scheuer Muränen, sondern durch die ganze Farbenpracht der pazifischen Unterwasserwelt: Papageifische, Riffbarsche, Pfauen-Zackenbarsche, Falterfische und viele andere mehr. Die ungeheure Vielfalt und die unzähligen Nischen eines Korallenriffs ermöglichen jeder Art, durch entsprechende Ausgestaltung der Körperform eine Lebensgrundlage zu finden. Einige ernähren sich nur von einer bestimmten Korallenart, andere wechseln zwischen Korallen und Wirbellosen, andere haben lange Mäuler, mit denen sie in Spalten und Rissen nach winzigen Weichtieren suchen, einige treiben sich tagsüber zwischen den Korallen umher, während die anderen schlafen, um nachts die Rollen zu tauschen.
»Das ist so ähnlich wie die Wachablösung auf den U-Booten«, erläutert Alan Friedlander vom Oceanic Institute in Hawaii, einer der Ichthyologen des Teams. »Die Jungs schieben ihre Vier- bis Sechsstundenschicht und tauschen dann den Schlafplatz. So werden die Kojen niemals kalt.«
So lebendig das Gewimmel um das Kingman-Riff auch ist, hat es trotzdem viel Ähnlichkeit mit einer Oase mitten in der Wüste, Tausende von Meilen von jeder nennenswerten Landmasse entfernt, wo diese Lebensgemeinschaft ihre Vielfalt auffrischen könnte. Die 300 bis 400 Fischarten, die es hier gibt, entsprechen noch nicht einmal der Hälfte jener Artenvielfalt, welche die großen pazifischen Korallenriffs im Dreieck von Indonesien, Neuguinea und der Solomoninseln zu bieten haben. Doch die Belastung, die durch Aquariumhandel und Überfischen mit Dynamit und Zyanid entsteht, hat diese paradiesischen Orte fast zerstört und alle großen Raubfische vernichtet.
»Es gibt in den Weltmeeren keinen Ort mehr wie die Serengeti, der alle Arten noch einmal zusammenführt«, meint Jeremy Jackson.
Doch das Kingman-Riff ist wie der Bialoweza-Urwald eine Zeitmaschine, ein intaktes Bruchstück dessen, was einst jeden grünen Fleck in diesem großen blauen Ozean umgab. Hier entdeckt das Korallen-Forschungsteam ein halbes Dutzend unbekannte Arten. Die Forscher, die für die wirbellosen Tiere zuständig sind, kommen von ihren Streifzügen mit merkwürdigen Weichtieren zurück. Die Gruppe für Mikroorganismen entdeckt Hunderte von neuen Bakterien und Viren, in erster Linie, weil vor ihr noch niemand den Mikrokosmos eines Korallenriffs untersucht hat.
In einem drückend heißen Frachtraum unter Deck hat sich der Mikrobiologe Forest Rohwer ein verkleinertes Abbild des Labors eingerichtet, das ihm an der San Diego State University zur Verfügung steht. Mithilfe einer Sauerstoffsonde von lediglich einem Mikrometer Durchmesser, die an einen Mikrosensor und ein Laptop angeschlossen ist, hat diese Forschungsgruppe nachgewiesen, wie die Algen, die sie zuvor vor Palmyra gesammelt hatte, lebende Korallen verdrängen. In kleine, mit Meerwasser gefüllte Glaswürfel haben sie Proben von Korallen und Algen gegeben und sie durch eine Glasmembran getrennt, die so feinporig ist, dass noch nicht einmal Viren sie durchdringen können. Wohl aber sind die Zucker dazu fähig, die von den Algen produziert werden, da sie sich auflösen. Wenn die Bakterien, die auf Korallen leben, diese energiereiche Zusatznahrung aufnehmen, verbrauchen sie allen verfügbaren Sauerstoff, woraufhin die Koralle abstirbt.
Um dieses Ergebnis zu bestätigen, gaben die Mikrobiologen in einige Würfel eine Dosis Ampicillin, um die hyperventilierenden Bakterien abzutöten, woraufhin die Korallen in diesen Glaswürfeln gesund blieben. »Jedenfalls«,
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