Die Welt ohne uns
Fundstellen fossiler Hominidenreste, zusammengenommen ein sichelförmiges Gebiet, das sich von Äthiopien aus südwärts erstreckt und parallel zur Ostküste des Kontinents verläuft, haben zweifelsfrei bewiesen, dass wir alle Afrikaner sind. Der vom Westwind herangewehte Staub, der auf den Sisalagaven und Akazien der Schlucht eine graue Puderschicht hinterlässt, enthält verkalkte Stücke jener DNS, die wir alle in uns tragen. Von diesem Ort aus schwärmten die Menschen über alle Kontinente aus.
An diesen Fundstellen entdeckte man auch Tierknochen, die von unseren Vorfahren teilweise zu spitzen Werkzeugen und Waffen geschliffen worden waren – unter anderem von Flusspferd-, Nashorn-, Pferde- und Elefantenarten, die ausstarben, als die Menschen sich ausbreiteten. Sie vermitteln uns eine Vorstellung vom Zustand der Welt, bevor wir vom Affen zum Menschen wurden. Was sie uns allerdings nicht zeigen, ist der Grund, der uns dazu veranlasst haben könnte. Doch am Tanganjikasee finden sich einige Hinweise. Sie bringen uns zum Eis zurück.
Dieser See wird von vielen Bächen gespeist, die den 1500 Meter hohen Steilabbruch des Rift herabstürzen. Zeitweise säumte hier Regenwald die Ufer. Dann kam der Miombowald. Heute ist der Steilabbruch fast baumlos. Seine Hänge sind gerodet, um Anbauflächen für Maniok zu schaffen, wobei die Hänge so steil sind, dass manchmal Bauern abstürzen.
Eine Ausnahme ist das Gombe-Stream-Reservat am tansanischen Ostufer des Tanganjikasees, wo die Primatologin Jane Goodall, einst Leakeys Assistentin in der Olduvai-Schlucht, seit 1960 Schimpansen beobachtet. Ihre Feldstudie, die längste, die jemals irgendwo an einer wild lebenden Art vorgenommen wurde, wird von einem Camp aus durchgeführt, das nur mit dem Boot zu erreichen ist. Der Nationalpark, in dem das Camp liegt, ist mit knapp 140 Quadratkilometern der kleinste in Tansania. Als Goodall dort ihre Studien begann, waren die Hügel rundum von Dschungel bedeckt. Wo er sich zu lichten Waldgebieten und Savannen öffnete, lebten Löwen und Kaffernbüffel. Heute ist der Park auf drei Seiten umgeben von Maniokfeldern, Ölpalmenplantagen, Hügelsiedlungen und mehreren Dörfern von mehr als fünftausend Einwohnern, die sich am Seeufer verteilen. Die weltberühmte Schimpansenpopulation ist auf bedenkliche neunzig Individuen geschrumpft.
Zwar sind die Schimpansen im Gombe-Reservat am intensivsten untersucht worden, doch der Regenwald dort beherbergt auch Anubispaviane und einige andere Arten: Grünmeerkatzen, Rote Stummelaffen, Rotschwanz- und Diadem-Meerkatzen. Im Jahr 2005 untersuchte Kate Detwiler, Doktorandin am Center for the Study of Human Origins der New York University, dort mehrere Monate lang die beiden letztgenannten Arten.
Rotschwanz-Meerkatzen haben kleine schwarze Gesichter, weißgefleckte Nasen, weiße Wangen und lebhafte kastanienfarbene Schwänze, während Diadem-Meerkatzen ein bläuliches Fell und dreieckige, fast nackte Gesichter mit eindrucksvoll vorspringenden Augenbrauen besitzen. Angesichts der unterschiedlichen Färbung, Körpergröße und Vokalisation kann niemand die Diadem- und die Rotschwanz-Meerkatzen im Feld verwechseln. Doch genau das scheint in Gombe den Mitgliedern der beiden Arten selbst zu passieren, denn seit einiger Zeit kreuzen sie sich. Bislang hat Detwiler festgestellt, dass die beiden Arten zwar unterschiedliche Chromosomenzahlen aufweisen, dass aber zumindest einige Nachkommen aus solchen Verbindungen – entweder zwischen Diadem-Männchen und Rotschwanz-Weibchen oder umgekehrt – fortpflanzungsfähig sind. Anhand von Partikeln der Darmschleimhäute, die sie aus Kotproben entnimmt, kann sie nachweisen, dass sich die DNS beider Arten gemischt hat und es sich folglich um Hybridindividuen handelt. Und sie zieht aus dieser Beobachtung noch weitergehende Schlüsse.
Genetische Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass vor etwa fünf Millionen Jahren zwei Populationen einer Art getrennt wurden, die der gemeinsame Vorfahr dieser beiden Affen war. Durch die Anpassung an verschiedene Umwelten entwickelten sie sich auseinander. Aus einer ähnlichen Situation bei Finkenpopulationen, die isoliert auf verschiedenen Galapagosinseln lebten, zog Charles Darwin erste Schlüsse über den Mechanismus der Evolution. Er fand dreizehn verschiedene Finkenarten, deren Schnäbel der jeweils gegebenen Nahrungssituation angepasst waren: um Samenkapseln zu knacken, Insekten unter Baumrinden herauszupicken oder an
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