Die Welt ohne uns
Spätere Saatpflanzen wie Bohnen und Mais haben entweder zu wenig Pollen oder besitzen Körner, die zu schwer sind, als dass sie weit treiben könnten. Trotzdem lässt sich die Ausbreitung des Ackerbaus am häufigeren Auftreten der Sporen von Farnen nachweisen, die ausgelaugtes Land in Beschlag nehmen.
All das und vieles mehr lässt sich aus dem Schlamm erfahren, indem man ein zehn Meter langes Stahlrohr an einem Seil zum Seeboden hinablässt, wo es unter dem eigenen Gewicht und mit Hilfe eines Rüttlermotors in hunderttausendjährige Pollenschichten eindringt. Der nächste Schritt, so der Paläolimnologe Andy Cohen von der University of Arizona, der ein Forschungsprojekt im tansanischen Kigoma am Ostufer des Sees leitet, wäre dann ein Bohrgeschirr, mit dem man fünf oder sogar zehn Millionen Jahre alte Bohrkerne zutage fördern könnte.
Eine solche Anlage ist sehr kostspielig und läge etwa in der Größenordnung eines kleinen Ölbohrschiffs. Der See ist so tief, dass die Plattform nicht verankert werden könnte, sodass man GPS-gesteuerte Triebwerke brauchte, die für eine ortsfeste Position über dem Bohrloch sorgen würden. Nach Cohens Ansicht würde sich der Aufwand allerdings lohnen, weil es sich hier um das älteste und reichhaltigste Klimaarchiv der Erde handle.
»Man hat lange angenommen, das Klima werde durch das Vorrücken und Zurückweichen der polaren Eisschilde bestimmt. Doch es gibt gute Gründe für die Annahme, dass auch die atmosphärische Zirkulation in den Tropen daran beteiligt ist. Wir wissen eine Menge über die Klimaveränderung an den Polen, aber wenig über die in den warmen Zonen, wo Menschen leben.« Hier entnommene Bohrkerne würden, so Cohen, »zehnmal so viel Klimageschichte offenbaren wie die Gletscherproben, und das weit genauer. Es gäbe hundert verschiedene Dinge, die wir analysieren könnten. «
Dazu zählt auch die Geschichte der menschlichen Evolution, weil die Aufzeichnungen der Bohrkerne auch die Jahre umfassen würden, in denen die Primaten ihre ersten Schritte als Zweibeiner machten, sowie die weiteren Entwicklungsstufen, welche die Hominiden vom Australopithecus über den Homos habilis und erectus schließlich zum Homo sa p iens führten. Die Pollen wären die gleichen, die unsere Vorfahren einst einatmeten, möglicherweise stammten sie sogar von eben jenen Pflanzen, die diese Hominiden berührten und aßen, als sie in diesem Rift lebten.
Östlich des Tanganjikasees, in einem parallel verlaufenden Zweig des afrikanischen Rift, befand sich einst ein anderer See, flacher und salzig, der im Laufe der letzten zwei Millionen Jahre immer wieder verdunstete und neu entstand. Heute ist dort Grasland, kurz gehalten von den Kühen und Ziegen der Massai-Hirten, und darunter Sandstein, Lehm, Tuff und Asche, das Ganze auf einer Grundschicht von vulkanischem Basalt aufbauend. Ein Wasserlauf, der das vulkanische Hochland Tansanias nach Osten entwässert, grub eine hundert Meter tiefe Schlucht durch diese Schichten, wo im 20. Jahrhundert die Archäologen Louis und Mary Leakey versteinerte 1,75 Millionen Jahre alte Hominidenschädel fanden. Im grauen Schutt der Olduvai-Schlucht, heute eine Halbwüste voller Sisalagaven, fand man schließlich Hunderte von Steinsplittern und -Werkzeugen, die aus der untersten Schicht, dem Basalt, gefertigt waren. Einigen von ihnen gibt man ein Alter von zwei Millionen Jahren.
1978 fand Mary Leakeys Forschungsgruppe vierzig Kilometer südwestlich der Olduvai-Schlucht Fußspuren, die in feuchter Vulkanasche erstarrt waren. Sie stammten von einem Trio Australopithecinen, möglicherweise Eltern mit Kind, die vor dem Ausbruch des nahen Vulkans Sadiman flohen. Ihre Entdeckung verlegt das erste Auftreten zweibeiniger Hominiden auf mehr als 3,5 Millionen Jahre vor unserer Zeit. Aus den Funden hier und an ähnlichen Grabungsstätten in Kenia und Äthiopien ergibt sich ein Grundmuster der menschlichen Entwicklungsgeschichte. Heute weiß man, dass wir erst einige hunderttausend Jahre lang auf zwei Beinen gingen, bevor wir auf den Gedanken kamen, zwei Steine gegeneinanderzuschlagen, um ein scharfkantiges Werkzeug zu erhalten. Die Überreste von Hominidenzähnen und andere fossile Funde zeigen, dass wir Allesfresser waren, mit Backenzähnen zum Nüsseknacken ausgerüstet – aber auch, wie die Entdeckung axtförmiger Steine beweist, mit der Fähigkeit ausgestattet, Waffen herzustellen und sie zum Töten von Tieren einzusetzen.
Die Olduvai-Schlucht und andere
Weitere Kostenlose Bücher