Die Welt ohne uns
der Gletscher zu erwarten ist. In dem Zeitraum jedoch, in dem der zusätzliche Kohlenstoff langsam absorbiert wird, werden Zwergpalmen und Magnolien New York City möglicherweise rascher in Besitz nehmen als Eichen und Buchen. Dann müssten Elche ihre Stachel- und Holunderbeeren wohl in Labrador suchen, während Manhattan stattdessen Gäste aus dem Süden bekäme, Gürteltiere etwa und Pekaris, Nabelschweine aus Mittelamerika ...
... wenn nicht, wie andere Forscher dagegenhalten, die die Arktis beobachten, frisches Schmelzwasser von Grönlands Eiskappe den Golfstrom so abkühlt, dass er zum Erliegen kommt: das Ende des großen ozeanischen Transportbands, das warmes Wasser um den ganzen Globus befördert. Das würde eine erneute Eiszeit für Europa und die Ostküste Nordamerikas bedeuten. Vielleicht nicht so schwerwiegend, dass große Eisschilde entstünden, aber doch ausreichend, um den Wald der gemäßigten Breiten durch baumlose Tundra und Permafrost zu ersetzen. Beerentragende Büsche würden zu verkrüppelten, farbigen Flecken zwischen der Rentierflechte verkümmern und die Karibus nach Süden locken.
Nach einem dritten, eher vom Wunschdenken bestimmten Szenario könnten die beiden Extreme einander aufheben, sodass die Temperaturen in einer Mittellage zwischen beiden blieben. Egal, wie es kommt, heiß oder kalt oder irgendetwas dazwischen, in einer Welt, in der die Menschheit die Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre auf 500 oder 600 ppm hochtriebe – oder gar auf die für 2100 prognostizierten 900 ppm, falls sie ihre Gewohnheiten beibehält –, würde ein Großteil dessen, was einst die Eiskappe Grönlands bildete, den Meeresspiegel des Atlantiks weiter ansteigen lassen. Unter Umständen wäre von Manhattan dann nicht mehr übrig als zwei kleine Felseninseln, die eine dort, wo sich einst der Great Hill über den Central Park erhob, die andere eine Schieferklippe in Washington Heights. Eine Weile noch würden etwas südwärts einige Gebäude wie Periskope aus dem Wasser ragen, bis die anbrandenden Wellen sie zu Fall brächten.
Eisige Paradiese
Wie wäre es unserem Planeten ergangen, wenn sich die Menschheit nie entwickelt hätte? Oder war diese Entwicklung unvermeidlich?
Und wenn wir verschwänden, würden – oder könnten – wir oder ähnlich komplexe Geschöpfe erneut entstehen?
Von beiden Polen weit entfernt liegt der Tanganjikasee in einer Bruchfalte, die vor fünfzehn Millionen Jahren Afrika in zwei Teile teilte. Der Große Afrikanische Grabenbruch - Great Rift Valley – ist die Fortsetzung einer tektonischen Teilung, die noch früher im heutigen Bekaatal im Libanon einsetzte, dann nach Süden verlief und dabei den Verlauf des Jordans und des Toten Meeres bestimmte. Anschließend weitete sie sich zum Roten Meer und verzweigt sich heute zu zwei parallelen Rissen in der Erdkruste Afrikas. Der Tanganjikasee füllt die westliche Verzweigung des Rift über eine Strecke von 670 Kilometern, was ihn zum längsten Binnensee der Welt macht.
Mit nahezu 1600 Metern Tiefe und einem Alter von rund zehn Millionen Jahren ist er überdies der zweittiefste und zweitälteste See nach dem sibirischen Baikalsee. Das macht ihn außerordentlich interessant für die Forscher, die aus den Sedimenten an seinem Grunde Bohrproben entnehmen. Wie jährliche Schneefälle längst vergangener Jahrtausende die Klimageschichte in Gletschern konservieren, lagern sich Pollenkörner der ufernahen Laubbäume in den Tiefen von Binnengewässern ab, durch die dunklen Bänder der Regenzeitabflüsse und die hellen Algensporenstreifen der Trockenzeit deutlich abgegrenzt. In einem so alten Gewässer wie dem Tanganjikasee offenbaren die Bohrkerne mehr als nur, welche Pflanzen dort einst wuchsen. Sie zeigen auch, wie sich der Dschungel allmählich zu jener feuertoleranten, breitkronigen Gehölzformation wandelte, die man als Miombowald bezeichnet und die große Landstriche des heutigen Afrikas bedeckt. Dieser Miombowald bildete sich, als die Menschen der Altsteinzeit entdeckten, dass sie durch das Verbrennen von Bäumen Grasland und offene Waldgebiete schaffen konnten, die Antilopen anlockten.
Die in immer stärker werdende Holzkohleschichten eingebetteten Pollen belegen die fortschreitende Entwaldung, die den Beginn der Eisenzeit begleitete, als die Menschen lernten, Eisenerz zu schmelzen und Hacken zum Pflügen zu fertigen. Dort pflanzten sie Feldfrüchte wie Fingerhirse, deren Spuren in den Sedimenten nachzuweisen sind.
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