Die Welt ohne uns
Antikörper besaßen: Pocken, Masern, Typhus und Keuchhusten. Allein in Mexiko, wo geschätzte 25 Millionen Mittelamerikaner lebten, als die ersten Spanier kamen, gab es hundert Jahre später nur noch eine Million.
Doch selbst wenn mutierte Krankheitserreger vom Menschen auf Mammute und andere Riesengeschöpfe des Pleistozäns übergriffen – oder wenn sie von den Hunden oder Nutztieren dieser Menschen direkt übertragen wurden –, bliebe Homo sapiens der eigentliche Verursacher. Was den Over-Chill angeht, so erwidert Paul Martin: »Es geht nicht darum, dass sich das Klima nicht verändert, sondern dass es sich so häufig verändert.«
Prähistorische europäische Fundstellen zeigen, dass Homo sapiens und Homo neanderthalensis mit den vorrückenden und zurückweichenden Eisschilden jeweils nord- und südwärts zogen. Die Megafauna, so Martin, dürfte sich genauso verhalten haben. »Massige Tiere sind durch ihre Größe besser gegen die Kälte geschützt. Außerdem können sie weite Entfernungen zurücklegen – vielleicht nicht so weite wie Vögel, aber im Vergleich zu Mäusen doch ein hübsches Stück. »Da Mäuse, Buschratten und andere kleine Warmblüter das Massensterben des Pleistozäns überlebten«, fügt er hinzu, »ist kaum glaubhaft, dass ein plötzlicher Klimawandel das Leben für Großsäuger unerträglich gemacht haben soll.«
Pflanzen, die naturgemäß weniger mobil und meist klimaanfälliger sind, scheinen ebenfalls überlebt zu haben. Zwischen dem Faultierdung in Rampart und anderen Höhlen des Grand Canyon stießen Martin und seine Kollegen auf den Kot von urzeitlichen Buschschwanzratten, in dem sich Schichten jahrtausendealter Pflanzenreste befanden. Mit Ausnahme vielleicht einer einzigen Fichtenart war keine Pflanzenart, die den Buschschwanzratten oder Faultieren in diesen Höhlen als Nahrung diente, Temperaturen ausgesetzt, die ihren Fortbestand gefährdet hätten.
Für Martin aber liefern die Faultiere den schlagenden Beweis. Binnen tausend Jahren nach dem Auftreten der Clovis-Menschen waren alle diese gemächlich daherstapfenden, leicht zu erlegenden Bodenfaultiere in Nord- und Südamerika ausgestorben. Die Radiokarbondaten von Knochenfunden auf Kuba, in Haiti und Puerto Rico beweisen, dass Bodenfaultiere dort noch fünftausend Jahre später lebten. Ihr Aussterben auf den Großen Antillen fällt zeitlich mit der Ankunft von Menschen vor 8000 Jahren zusammen. Auf den Kleinen Antillen, etwa Grenada, wo die Menschen später in Erscheinung traten, sind die Überreste der Faultiere noch jünger.
»Wenn ein Klimawandel in der Lage war, die Bodenfaultiere von Alaska bis Patagonien auszurotten, sollte man meinen, dass er sie auch auf den Karibischen Inseln zugrunde gerichtet hätte. Doch das war nicht der Fall.« Diese Funde lassen auch darauf schließen, dass die ersten Amerikaner zu Fuß und nicht als Seefahrer auf den Kontinent gelangten, da sie fünftausend Jahre brauchten, um die Karibik zu erreichen.
Auf einer anderen, weit entfernten Insel gibt es einen weiteren Hinweis, dass es die Megafauna des Pleistozäns heute noch geben könnte, wenn sich die Menschen nie entwickelt hätten. Während der Eiszeit war die Wrangelinsel, ein Fleckchen felsige Tundra im Nordpolarmeer und seit 2004 nördlichstes UNESCO-Weltnaturerbe, mit Sibirien verbunden. Sie lag jedoch so weit im Norden, dass die Menschen, die nach Alaska kamen, sie nicht bemerkten. Als im Holozän mit zunehmender Erwärmung die Meeresspiegel wieder stiegen, wurde die Wrangelinsel abermals vom Festland getrennt; ihre Population von Wollmammuten – noch vorhanden, aber nun vom Festland abgeschnitten – war nun gezwungen, sich den begrenzten Ressourcen einer Insel anzupassen. Als die Menschen ihr Höhlendasein aufgaben und in Sumer und Peru Hochkulturen schufen, gab es noch Mammute auf der Wrangelinsel, eine Zwergart, die 7000 Jahre länger lebte als ihre Artgenossen irgendwo sonst. Vor 4000 Jahren, als die ägyptischen Pharaonen herrschten, gab es sie dort noch immer.
In noch jüngerer Zeit starb eine der erstaunlichsten Arten der Megafauna des Pleistozäns aus, der größte Vogel der Welt, der ebenfalls auf einer von den Menschen übersehenen Insel lebte: Neuseelands flugunfähiger Moa, der mit nicht ganz 300 Kilo doppelt so schwer wie und fast einen Meter größer als ein Strauß war. Die ersten Menschen besiedelten Neuseeland rund 200 Jahre, bevor Kolumbus nach Amerika segelte. Als er seinen Fuß in die Neue Welt setzte, war auch
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